Info
20.12.2012, 13:25 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
images/lpbblogs/logenlogo_164.jpg
Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [57]: Männliche Schönheit und poetische Schwärmerei

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/loge57_badinerie_160.jpg
Bachs „Badinerie“ – ein höherer musikalischer Spaß, um 1720 (da war Jean Pauls Großmeister noch voll im Saft) geschrieben von einem überragenden Meister., der zwar „musizieren“, aber nicht „lorgnieren“ konnte, es auch nicht wollte.

Kurz und gut: der Erzähler – „Jean Paul“, das „Einbein“ - ist in Unterscheerau der Hofmeister selbst, der er in Töpen war, und der er im Roman zu sein wünscht. Ein Mann, der „advozierte, musizierte, badinierte, lorgnierte und Welt hatte“. Badinerie – ich kenne das Wort, es klingt mir aus der „Bach-Zeit“ entgegen. Der „Spaß“, die „Schäkerei“, wurde bei Bach zum galanten Klang. mit ihm schließt die h-moll-Suite BWV 1067. „Jean Pauls“ Spaß besteht darin, dass er höfische Qualifikationen aneinander reiht und die musikalische Praxis am Hofe beschreibt – denn er, der Erzähler, „blies im Unterscheerauer Konzert, um mit der Flöte in die Sphärenstimme eines sehr jungen Fräuleins von Röper zu spielen, dessen Kehle sich oft kaum von der Flöte scheiden ließ.“ Die junge Dame – offensichtlich eine von Jean Pauls reinen Frauengestalten – wird uns noch mehr beschäftigen. Auch Gustav ist zugegen; man darf gespannt sein, wie sich seine Beziehungen zum Fräulein gestalten werden. Der Autor findet nun wieder zu einem seiner Lehrsätze:

Das männliche Geschlecht ist glücklicher und neidloser als das weibliche, weil jenes imstande ist, zweierlei Schönheiten mit ganzer Seele zu fassen, männliche und weibliche; hingegen die Weiber lieben meistens nur die eines fremden Geschlechts.

Es fiel schon im Siebenkäs auf: diese Hinwendung zum männlichen Geschlecht. Nein, Jean Paul war nicht homosexuell, auch nicht bisexuell, bis zu seiner Verheiratung war er, zumindest im täglichen Leben, eher asexuell – aber es gibt eine Sphäre der freundschaftlichen, homoerotisch angehauchten Zuneigung zu Männern, die die letzte Spitze des Freundschaftskults der empfindsamen Epoche markiert. Bedenkt man, dass er bis dato keine zwischengeschlechtlichen sexuellen Erlebnisse hatte[1], dann muss man derartige Stellen nicht überbewerten – oder doch nur in Hinsicht auf Verdrängungen, die allein im Text zum Vorschein kommen, indem sie gelegentlich überquellen. Die Freundesepisoden im Siebenkäs sind – würde man den Roman als den Roman zweier Schwuler lesen – relativ ungeheuerlich; die gelegentlichen Anspielungen auf die männliche, seelisch erfassbare Schönheit tragen etwas nach außen, was sich in der sexuellen Praxis nicht leben lässt. Es sollte wohl auch nicht gelebt werden; dem Dichter bleibt denn doch die Freiheit, über seine Gegenstände spielerisch zu phantasieren. Interessant aber bleibt wieder das Vor-Urteil, dass Männer mehr können als Frauen, dass ihre Prädispositionen vielseitiger sind. Allein die Sentenz hat eine Fortsetzung:

Ich hab' aber vielleicht zu viel Enthusiasmus für die erhabne männliche Schönheit, so wie für poetische Schwärmerei, ungeachtet ich wenigstens letzte selber nicht habe.

Will sich der Erzähler damit entschuldigen, indem er männliche Schönheit als die erhabne, also nicht als die niedere definiert? Das liefe auf einen Hohen Minnedienst hinaus. Denke ich länger darüber nach, so komme ich darauf, dass Jean Paul – der Erzähler und der Erzählte – es durchaus ernst meint: die idealistische Begeisterung dieses sehr besonderen Autors ist in diesem Fall nicht mit rein sexuellen Begriffen erfassbar. Er schafft eine Welt, die ideal ist, weil er sie so haben will – weil der Sinn, den er der Schwärmerei unterlegt, stärker sein muss als der niedere Affekt, der Leute wie den Fürsten besetzt. So sehr er badiniert, so sehr liebt er die erhabne Schönheit um der Schönheit willen. Es ist dies eine Betrachtung aus einer Zeit, die uns „aufgeklärten“ Kindern des späten 20. Jahrhunderts denkbar fern sein muss – aber es ist auch eine Welt, die den Vor-Schein einer Hoffnung birgt: der Hoffnung, dass es Seelen gibt, die, wie die des jungen Fräuleins, ein „Nachtigallton unter Blütenüberhang“ ist. Mag sein, dass ein derartiges Reinheitskonzept heute eher befremdlich wirkt. Wer genug Enttäuschungen an der sog. Wirklichkeit erlebt hat, kann vielleicht ermessen, dass die Vorstellung einer derartigen Seele zur blanken Notwendigkeit wird, wenn die Hoffnung mal wieder in der kalten Welt zerschreddert wurde.

----------

[1] Wir müssen davon ausgehen, wie man so schön sagt, oder: Wir waren nicht dabei.

Verwandte Inhalte
Autoren
Autoren