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31.12.2025, 08:14 Uhr
Gunna Wendt
Rezensionen

Rezension zu Kathrin Groß-Strifflers „Fremder Vogel“

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Julia Mann, geb. da Silva-Bruhns, Mutter von Thomas und Heinrich Mann; ca. 1870.

Julia Mann, geboren 1851 als Julia da Silva-Bruhns in Brasilien, war Mutter von fünf Kindern, darunter der beiden Schriftsteller Thomas und Heinrich Mann. Die Schriftstellerin Kathrin Groß-Striffler hat einen biografischen Roman über sie geschrieben: In Fremder Vogel verdichtet Groß-Striffler das Leben von Julia Mann von ihrer Kindheit in Brasilien über ihre Rolle als Ehefrau eines Lübecker Senators bis zu familiären Tragödien und patriarchalen Bedingungen. Eine Rezension von Gunna Wendt

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„Der Saal, den sie für das große Fest gemietet hatte, befand sich am Ende einer langen Straße in einem höchst respektablen, von Erkern und Türmchen bewehrten alten Patrizierhaus…“ Mit diesen Worten beginnt Kathrin Groß-Strifflers biographischer Roman über Julia Mann, Fremder Vogel. Die Protagonistin blickt kurz vor ihrem Tod auf ihr Leben zurück, erinnert sich an ihre Kindheit in Brasilien als Tochter eines Plantagenbesitzers, ihre Übersiedelung nach Deutschland, ihre Heirat und Gründung einer eigenen Familie. Nicht chronologisch, sondern assoziativ, zum Teil wie in Traumsequenzen, die ohne Zusammenhang und Erklärung auftauchen, was bei den Leserinnen und Lesern jedoch gewisse Kenntnisse der Geschichte der Familie Mann voraussetzt. 

Julia Manns Vater, Johann Bruhns, stammte ursprünglich aus Lübeck und war in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts nach Brasilien ausgewandert. Nach dem frühen Tod seiner Frau, Maria da Silva, schickte er seine fünf Kinder zu seinen Eltern in seine norddeutsche Heimatstadt. Nicht nur der Verlust der Mutter, sondern auch die Entwurzelung muss für Julia und ihre Geschwister ein schwerer Schlag gewesen sein. Julia heiratete im Alter von 18 Jahren den wesentlich älteren Kaufmann und späteren Senator der Hansestadt Lübeck, Heinrich Mann, und bekam fünf Kinder. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie nach München. 1923 starb sie in einem Hotelzimmer in Weßling bei München.

Kathrin Groß-Striffler hat einmal erklärt, bei ihrer schriftstellerischen Tätigkeit interessierten sie „nicht die Leute, bei denen es glattgeht und alles hinhaut. Das ist ja auch langweilig. Es muss schon knirschen, man muss sich im Weg stehen und es muss alles schwierig sein“ – Voraussetzungen, die sie bei der Familie Mann im Übermaß vorgefunden hat. So sind denn die gelungensten Passagen des Buches diejenigen, die das Konkurrenzverhältnis ihrer beiden berühmten Söhne Heinrich und Thomas betreffen.

Ihr wart aber auch so verschieden! Während Heinrich den Süden liebte, liebte Tommy den Norden und das Meer, Heinrich hasste und Tommy liebte Wagner, Heinrich kämpfte für eine deutsche Republik, Tommy, zumindest anfangs, für den Erhalt der Monarchie, aber muss man sich deswegen hassen?

Das Gerangel um Aufmerksamkeit hatte in frühester Kindheit begonnen und war von Julia zunächst nicht ernst genommen worden, weil sie es für üblich hielt, dass Kinder um die Liebe ihrer Mutter buhlen. Doch hatte die Rivalität der zwei schon früh heftige destruktive Züge angenommen, die darin gipfelten, dass Tommy einmal in einem Wutanfall die Geige seines Bruders zertrat. Damals hatte Julia – wie später noch oft – nicht entschieden reagiert. Vor allem deshalb nicht, weil ihr ein solches Verhalten fremd war. Ebenso wenig verstand sie, dass gerade die große literarische Begabung, über die sowohl Heinrich als auch Tommy verfügten, Grund für Missgunst bot: „kaum hatte der eine wieder ein Buch in den Auslagen liegen, wurde der andere grün vor Neid und Missgunst und Eifersucht.“

Heinrichs Frau Mimi warf Julia vor, sich nicht genügend für eine Aussöhnung der Brüder eingesetzt zu haben, was Julia zurückwies. Sie vertrat die Auffassung: „Heinrich hätte diese dicke, vulgäre Person nie heiraten sollen, diese unberechenbare Nervensäge, die alles daran setzte, zwischen ihr und Heinrich Zwietracht zu säen.“ Doch rückblickend macht sich Julia selbst Vorwürfe, weil es ihr nicht gelungen war, die beiden Brüder miteinander zu versöhnen. Von deren Ehrgeiz hatte sie sich sogar anstecken lassen. Ihr jüngster Sohn Victor erinnert sie daran, wie sie sich in einer Buchhandlung nach den Büchern von Heinrich und Thomas erkundigte, nachdem keines von ihnen dort ausgestellt war. Auf die Beteuerung des Buchhändlers, dass sie sehr wohl vorrätig seien, gab sie sich als Mutter der beiden berühmten Schriftsteller zu erkennen: „Oh, wie der Buchhändler staunte!“

Nicht nur Heinrichs Gattin Mimi, auch Tommys Ehefrau Katia und ihre Eltern sind Julia ein Dorn im Auge; „[m]usste die schreckliche Hedwig Pringsheim auch zum großen Fest eingeladen werden? Sie wand sich bei dem Gedanken, dieser aufgetakelten Madame Pompadour diese Ehre zukommen zu lassen…“ Für Tommys Brautwahl hatte sie wenig Verständnis: „Eine Millionärsprinzessin hättest du mir nicht anschleppen müssen! Ich erinnere mich genau, was du damals gesagt hast: Ich fürchte mich nicht vor dem Reichtum.“ Das habe sie ihm von Anfang an nicht geglaubt und Recht behalten: „ach, geh, ihr Hochrenaissance-Schloss hat dich über die Maßen beeindruckt, auch wenn ich dir immer wieder vor Augen geführt habe, dass traditionelle Werte und Tugenden einer altehrwürdigen Patrizierfamilie viel höher einzuschätzen sind.“

Neben der Unfähigkeit, mit dem Konkurrenzverhältnis ihrer Söhne umzugehen, sind es der Selbstmord der Tochter Carla und die damit verbundenen Schuldgefühle, die das Denken der Protagonistin beherrschen und im Text immer wieder auftauchen: „nur ein paar Schritte von mir hat sie so unendlich gelitten, und ich, ich habe ihr nicht helfen können.“ Ihren Ratschlag, einen reichen Mann zu heiraten und Kinder zu bekommen, habe Carla ebenso wenig befolgt wie die Empfehlung, die Schauspielerei, zu der ihr das Talent fehle, aufzugeben: „Warum rennst du weinend aus dem Zimmer? Habe ich etwas falsch gemacht, mein liebes Kind?“

In den stärksten Passagen des Romans gelingen der Autorin intensive, packende Szenenschilderungen eines familiären Beziehungsgeflechtes, bei denen es zeitweise unwichtig ist, dass es um die Familie Mann geht. Diese sind jedoch eingebettet in Textpassagen, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen oder deren Verbindung sich nicht erschließt – vor allem nicht denjenigen, die mit dem Schicksal der Familie Mann nicht vertraut sind. Und so wird die Lektüre zum Wechselbad zwischen Faszination und Ratlosigkeit.  

 

Kathrin Groß-Striffler: Fremder Vogel. Biographischer Roman über Julia Mann (Mutter von Thomas und Heirnich Mann), 6 Kurzgeschichten im Anhang. Rote Katze Verlag 2025, 158 S., ISBN: 978-3-910563-33-9

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