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21.12.2014, 14:30 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [532]: Sintzenich oder Einer der beiden Stecher

Zu einem schönen Buch gehört, wie im Fall der Unsichtbaren Loge, bisweilen auch ein Frontispiz. Das Werk tritt mit einem Gesicht in die Welt hinaus, das schön und anregend sein soll; um es zu schaffen, bedarf es eines Bildenden Künstlers.

Der bekannte Daniel Chodowiecki: Das war nur einer der Illustratoren, die die beiden Teile der Loge äußerlich und doch schon ein wenig innerlich eröffneten. Der zweite ist wesentlich weniger bekannt – dabei hat er gleich zwei kleine Graphiken beigesteuert, die jeweils am Beginn der beiden Romanteile stehen. Sein Name ist heute nur noch Spezialisten bekannt, was schade ist, aber wenn man sich anschaut, wie „die Kunstwissenschaft“ auf seine Graphiken, damit auch auf die beiden Graphiken der Loge (herab)schaut, ist das Urteil verständlich.

Unser Mann also heißt: Heinrich Sintzenich.

Heinrich Sintzenich hat auch Jean Paul im Bild verewigt: wie üblich nach dem Werk eines anderen Künstlers. Diese Ansicht (Punktiermanier in Schwarz) wurde vier Jahre nach dem Abschluss der Loge, als Hesperus und Siebenkäs schon unter Dach und Fach waren, von Johann Heinrich Pfenninger hergestellt, von Sintzenich gestochen und 1798 der zweiten Auflage des Hesperus vorangestellt.

Interessanterweise kommen wir mit dem Stecher, der den in Berlin herausgegebenen Roman mit seinen zwei Bildern zart bereicherte, nach Bayern, genauer: nach München zurück, wo dieses Blog in die Welt geschickt wird. Nämlich so: Sintzenich wurde 1752 in Mannheim, also im Reich jenes Kurfürsten geboren, der später nach München ging. Wirtschaftliche Probleme ergaben sich für den jungen Künstler, der vom Kurfürsten gefördert wurde, seit 1778: denn nach dem Abzug des Regenten nach München blieben Aufträge und Bestellungen der Bürger- und Beamtenschaft aus. Zudem erhielten nun englische Kupferstecher (unter ihnen Boydell) Publikationsrechte, an denen Sintzenich nicht beteiligt wurde.

Nachdem Karl Theodor Mannheim verlassen hatte, versuchte Sintzenich nun seit 1790 sein Glück in Berlin, wo er zwar künstlerisch nicht auf der Höhe blieb, aber in Kontakt zu jenem Verleger geriet, der 1793 die Loge drucken ließ – womit wir uns auch den beiden Graphiken der beiden Knaben und des pädagogischen Paares nähern. „Auf sich selbst gestellt“, lese ich im Katalog einer Mannheimer Sintzenich-Ausstellung, die 1983 im Reiss-Museum veranstaltet wurde und nicht weniger als gut 150 Arbeiten dokumentierte, „auf sich selbst gestellt, sah Sintzenich sich genötigt, sich auf dem Gebiet der Buchillustration zu versuchen. Einige seiner allegorischen und szenischen Buchkupfer aber seien nicht nur „von Arbeiten des auf diesem Gebiet führenden Daniel Chodowiecky völlig verschieden, sondern auch so schwach, das ihre Abnahme durch die Buchhändler und Verleger beinahe erstaunt“.

Natürlich kann man das so sehen; ein scharf charakterisierender Chodowiecki konnte Sintzenich im Fall der beiden Rundbilder, die mit dem Inhalt des Romans angeblich nichts zu tun haben, nicht sein – aber würden wir sie deshalb gleich „schwach“ nennen? Die Einschätzung der Allgemeinen Deutschen Biographie trifft, meint der Blogger, auch hier zu:

Sintzenich’s Kunst hat bei aller Weichlichkeit und oft Süßlichkeit des Gegenständlichen, dem die Maler der Vorbilder, dem Zeitgeschmack folgend, huldigten, infolge der Sicherheit der Zeichnung und Modellierung – und bei den colorierten Blättern durch die discrete Anwendung der Farben – etwas Anmutiges und Feines. Wuchtige und monumentale Wirkungen sind ihm allerdings versagt. Dafür erfreut er aber in seinen allegorischen Darstellungen durch die gute Haltung seiner Blätter und im Porträt durch die lebensvolle Charakteristik und die Wärme seines Vortrags. Die Sorgfalt seiner Technik und die Ehrlichkeit seines Schaffens geben Sintzenich’s Schöpfungen den Wert schätzbarer Kunstwerke.

Eine Reihe von literarischen und künstlerischen Persönlichkeiten jener Zeit ist uns durch seine Kunst im Bilde erhalten. In seiner späteren (Berliner und Münchener) Zeit widmete er seine Kräfte fast ausschließlich dem Porträt. Zahlreiche Angehörige des preußischen, sächsischen und bairischen Adels sind durch ihn dargestellt worden. So auch Jean Pauls erster Bairischer König und sein geliebtes Eheweib: Max Joseph I. und Karoline (Jean Pauls) II., die der Stecher vor Schloss Nymphenburg postierte.

Auch ihm sind wir bereits begegnet: dem Herrn Marat, der wieder einmal im Bad ermordet wird (nach einem Gemälde der Tochter Elisabeth Sintzenich).

Sintzenich hatte auch in Berlin keinen finanziellen Erfolg. Eine Pension, die ihm früher aus München gezahlt worden war, blieb seit 1794 aus. Pleite! War dies der Grund, wieso er 1802 seine Zelte an der Spree abbrach und 1802 an die Isar zog?

Hier lebte er, von 1802 bis zu seinem Tod, der ihn 1830 ereilte. In München ist er gestorben: in ärmlichen Verhältnissen, wie man liest – obwohl ihm der Kurfürst und spätere König Max Joseph schon 1802 für den Fall eine Unterstützung garantiert hatte, dass Sintzenich dem Hof seine Kunstwerke lieferte. Nur weniger aber dürften den Platz in Max Josephs Sammlungen gefunden haben. Hatte er stattdessen Erfolg als Kunsthändler und -verleger? „Auch hier wird der Erfolg gering gewesen sein“, hieß es 1983.

Was blieb ihm zuletzt? Nicht der Ruhm, den sein Kollege Chodowiecki, der mit ihm in unserem Werk vereinigt wurde, bis heute besitzt. Blieb ihm die Liebe? Wenn die Liebe uns verlassen, besucht uns doch die Musik, hatte Jean Paul einst geschrieben. Blieb ihm wenigstens die Musik?

Es war ihm zu wünschen.

Wenn die Liebe uns verlassen, besucht uns doch die Musik...
Die Musik (1783). Nach einem Gemälde von Rosalba Carriera (1675 – 1757)

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