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28.10.2014, 11:19 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [497]: Einige neue wie auserlesene Geschichten

Einige neue wie auserlesene Geschichten vom Ritter Don Quijote von der Mancha und seinem treuen Diener Sancho Panza

„Ist es nicht so“, sprach Don Quixote, „dass man diese ganze Rotte mit Stumpf und Stiel verjagen müsste, weil sie die guten Sitten, die einst noch herrschten, in Verruf gebracht hat?“

„Die guten Sitten, meiner lieber Herr“, sagte sein treuer Knappe, „waren schon immer in Verruf, aber so schlimm wie heute war es noch nie. Darauf könnt Ihr einen lassen. Aber ausrotten werdet Ihr das Gesindel nicht – nicht einmal mit 1000 Speeren und 10.000 Rozinanten.“

„Das ist übel“, murmelte der Don. „Das ist ist nicht übel, das ist Scheiße“, sagte Sancho Panza, der inzwischen der Kommunistischen Partei beigetreten war, was genauso närrisch war wie die Worte des hochgemuten Ritters.

Inzwischen waren sie nach dem Ritt durch das Bankenviertel in freundlichere Gegenden gekommen. Aus einer der Bodegas erscholl Tanzmusik, die der Don unschwer als Tango erkennen konnte. „Wir sollten es einmal versuchen“, rief er begeistert und fiel vor Freude vom Pferd. „Wenn Ihr meint, Herr“, sagte Sancho Panza, der das nächste Unglück schon nahen sah.

„Sind es nicht auserlesene edle Damen und Herren, die sich hier des Tanzes befleißigen? Und ist das nicht der einzig mögliche Tanz für mich, den tanzerprobten Ritter von der Mancha?“, fragte Don Quixote. Sein treuer Knappe nickte nur beiläufig, weil er sich bereits den jungen Servierkräften zugewandt hatte. Don Quixote aber packte einer der Tänzerinnen, die ihm besonders reizvoll erschienen, und zog sie auf das Parkett. Die Senora, verdutzt über die seltsame Tanzkleidung ihres Partners, wehrte sich kaum. Sie hatte allerdings genug damit zu tun, ihre Füße vor den eisernen Schuhen des Ritters, die sich einen Teufel um den Takt scherten, zu schützen. Als sie mehrmals in Schmerzenslaute ausgebrochen war, hatte Sancho Panza bereits ein kleines Serviermädchen vernascht.

Fünf Minuten später lagen sie beide mit zerbeulten Gliedern vor der Tür – doch hatte der Don wieder einmal weniger zu lachen als sein Knappe, der ihn auf all seinen Abenteuern begleitete.

„Ich hätte nicht übel Lust“, sprach Don Quixote, „jeden, der sich da zu unseren Füßen auf unsere Kosten vergnügt, mit meiner Lanze zu vertreiben. Aber ich fürchte, wir können es nicht. Wir können uns ja nicht bewegen – was für eine Schmach!“, jaulte Don Quixote auf.

„Ja, Herr“, antwortete Sancho Panza, „der Bastard, der uns in die Bronze gegossen hat, gehört ebenso in die Hölle wie diese Zwerge.“ Und er dachte, dass selbst die Tiere klüger sind als die Zwerge.

„Besteht keine Hoffnung, einmal von diesem Pöbel befreit zu werden, der nicht weiß, was wahre ritterliche Ehre ist?“, fragte der Don. „Keine“, sagte sein Knappe und versuchte vergeblich auszuspucken.

Plötzlich hob Rozinante einen Huf und schleuderte einen Touristen von der Standfläche. Der Esel machte es ihm nach.

Am nächsten Tag waren mehr Touristen als je zuvor auf der Plaza Espanya anzutreffen.

Fotos: Frank Piontek (September 2014)

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