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07.08.2014, 11:57 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [458]: Eine Versucherin bildet zehn Versucher

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Die Zeit ist nichts als ein Tod mit sanftern, dünnern Sicheln

Im Prinzip geht es nun erst einmal um die Theorie und Praxis der Verführung: weiblich und männlich betrachtet. Der Autor hat es wieder geschafft, seine Geschichte mit einer Lehre zu versehen, die gut genug war, um in die einschlägigen Aphorismussammlungen eingerückt zu werden. In der Entlarvung der Weiber– diesem hübschen, sehr kleinen, aber liebevoll ausgestatteten Band – findet man sie, per exemplum, auf Seite 29, im Lauf der Welt auf Seite 56, gleich nach der Kapitelillustration Gerhard Ulrichs, die eindeutig genug ist, um die Vieldeutigkeit der jeanpaulschen Maximen widerzuspiegeln (und mit einer Sentenz versehen wurde, die nicht in der Loge, sondern im folgenden Hesperus steht).

Der Blogger fragt sich nur, wie ernst alle diese eingeschobenen Lehr- und Leitsätze des Erzählers genommen werden. Wenn man alles zusammennimmt, was Jean Paul über die Weiber geschrieben hat – über die Mädchen, die Tugendhaften, die Sünderinnen und die Ehefrauen –, erhält man ein buntscheckiges Bild, das nicht deshalb so verwirrt, weil es uns Auskunft geben könnte über die Veränderungen, die eben mit der Zeit über einen Autor kommen und in ihn fahren. Jean Paul hat ja bekanntlich schon harte Worte über und gegen die Frauen gefunden, als er sie noch nicht kennen konnte – denn eine Frau lernt man, wenn sich der Blogger nicht täuscht, erst dann kennen, wenn er sie sehr genau, also geradezu intim kennt (es kann natürlich auch sein, dass er sie in diesen Momenten schon kennt, aber nun „nur“ in einer Form wahrnimmt, die sich zur Kenntlichkeit entstellt hat). Kurz und gut: Könnte es nicht sein, dass Jean Paul, wenn er über die Frauen – und über Gott und die sog. Welt – schreibt, nicht immer das schreibt, was er in diesen Augenblicken als Wahrheit empfindet? Sondern das, was ihm eben gerade einfällt? Ein Witz, eine Pointe, eine unzulässige Zuspitzung? Eine Fortsetzung irrealer Gedanken, die zunächst einmal rein literarisch aufgefasst werden müssen? Also l'art pour l'art für die, die Spaß haben an jenen Bonmots, die der Erzähler doch als Zeugnisse einer höfischen Konversationskunst ablehnt?

Ansonsten könnte man daran zweifeln, ob er wirklich ernst meint, was er – der Erzähler – da notiert hat, um es einer auf Bonmots erpichten Mit- und Nachwelt zum Fraß zu überlassen:

Wenn die Weiber so leicht zu besiegen sind, so ist es, weil in allen Krieg-Verhältnissen der angreifende Teil die Vorteile vor dem angegriffenen voraushat; kehret sich aber einmal der Fall um, und tritt eine Versucherin statt eines Versuchers auf: so wird derselbe Versuchte, der nie eine Unschuld angefeindet hätte, die seinige verlieren in der ungewöhnlichen Umkehrung der Verhältnisse, und zwar um so leichter, je mehr die weibliche Versuchung zärter, feiner und durchdringender ist als die männliche. Daher verführen zwar Männer; aber Jünglinge werden gewöhnlich anfangs verführt – und eine Versucherin bildet zehn Versucher.

Das bezieht sich insofern auf Gustav, als dass der Erzähler ihn nun verteidigen muss. Ansonsten käme der Leser wohl auf die Erde, dass es sich beim Jüngling um ein besonders schwaches Exemplar des sog. starken Geschlechts handelt. Tatsache ist: wenn Gustav in den Armen der Bouse „seine“ Beata vergessen kann, dann taugt er wirklich nicht für die Liebe, der gegenüber er ja sowieso schon ziemlich schwach aussieht.

Schieben wir's auf seine Jugend und Unerfahrenheit: diese Verwirrung der Gefühle. Zumindest können wir uns ein paar Sekunden über die Einblicke wundern, die der Erzähler in die Seelenzustände seiner Protagonisten hat. Wir wundern uns vielleicht auch darüber, mit welchem Schnitt er nun zu Beata blendet: im Film hätte man die beiden Sequenzen – hier die Bouse und Gustav, dort Beata und der Fürst – in einer Parallelmontage auflösen können. Das gemeinsame Thema lautet ja: Verführung – und also hebt der Autor beim nächsten harten Schnitt – er setzt sofort nach seiner moralisierenden Sequenz ein – mit folgendem Satz an: Verzeihe, reine Beata, uns allen den Übergang zu dir!

Beata sitzt in ihrem Zimmer, den Brief am schlagenden Herzen, Gustav ist ihr der Genius der Tugend (der er gerade nicht mehr ist) – als plötzlich der Fürst den Raum betritt. So schiebt sich auf dem Bauch eine Kröte in ein Blumenbeet.

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[1] Wir befinden uns im Film: ein typischer cliffhanger.

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