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20.07.2014, 11:17 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [442]: Zur Metaphysik der Liebe (belletristisch betrachtet)

Gustav kann nicht sprechen, das ist sein Problem. Eingeschlossen in sich selbst, scheint sich die Seele nicht entäußern zu wollen – obwohl doch die Liebe den Mund ansonsten wortreich überfließen lässt. Nebenbei: dieses Blog scheint den Skeptizismus des ersten Blogs des Bloggers, der dem Mann ohne Eigenschaften gewidmet ist, beharrlich zu widersprechen: denn Musil verwies, wohl nicht zu Unrecht, darauf, dass der Begriff der Liebe schwer kritikwürdig ist, dass alles Sprechen über das Phänomen genauestens analysiert werden muss, dass hinter der sog. Liebe immer etwas Anderes verborgen ist, das im reinen bzw. rein verwandten Begriff der Liebe nicht aufgeht – denn alles, was Liebe heißt, vermag derart viele Worte zu provozieren, dass die Eindeutigkeit der Sache selbst längst perdu ist.

Sprechen wir also von der Liebe: von Gustavs Liebe. Bräuchte der Junge nicht einen Psychoanalytiker, einen Mann aus Musils Zeit, um sich selbst erst einmal darüber klar zu werden, was und wie er liebt, was und wie er dieses Was will, und wie er die Liebe in Worte bringen möchte? Denn es ist ja nicht ausgemacht, dass der Erzähler unbedingt Recht hat, wenn er bekennt:

Denn es gibt Augenblicke, wo der tief aus der fremden Seele emporgehobne Schatz wieder zurücksinkt und im Innersten verschwindet, wenn man redet – ja wo das zarte, bewegliche, schwimmende, brennende Gemälde der ganzen Seele sich kaum in oder unter dem durchsichtigen Auge wie das ersterbende Pastellgebilde unter dem Glase beschützt....

Könnte nicht auch, wie Fontane gesagt hätte, das Gegenteil dieser Weisheit und Erkenntnis richtig sein? Und wäre es nicht völlig angemessen, Gustav – populär gesprochen – eine reinzuhauen, um ihn endlich wachzurütteln? Weil sein Schweigen, seine Passivität, schlichtweg unerträglich ist?

Aber der Autor wollte es so. Gustav kann nichts dafür: Jean Paul hat es so und nicht anders verfügt. Der Autor der vielen Worte hat über seinen zweifelhaften Helden ein Redeverbot verhängt, das scheinbar widersprüchlich anmutet – denn die Metaphysik der Liebe lässt offensichtlich auch den Schluss zu, dass manchmal Schweigen wertvoller als Reden ist (und was Liebe ist, können Liebende zuallerletzt definieren). Gustav würde fraglos folgenden Satz unterschreiben: Wenn man alles sagt, ist man vielleicht kein Mensch mehr. Man findet ihn, sinnigerweise, in einem Neuen Werther: in Ulrich Plenzdorfs Neuen Leiden des jungen W.

Gustav schweigt – aber er vermag zu schreiben, doch ist es bezeichnend, dass auch hier Unterbrechungen eintreten: Als Gustav den Brief fertig hatte, wusst' er nicht, wie er zu insinuieren sei, auf welcher Penny-Post. Er trug ihn so lange herum, bis er ihm nicht mehr gefiel – dann schrieb er einen neuen bessern, und trug ihn so lange bei sich, bis er den besten schrieb...

Mit dieser Methode könnte Gustav so lange weitermachen, bis Beata fünf Kinder bekommen und Witwe geworden ist. Der Autor will es nun aber doch, dass die Sache vorwärts geht; also schickt er ihn mit dem besten Brief auf die Post – und weil er spürt, dass er wieder ein wenig zu viel in den Gefilden der Tragödie operierte, kündigt er flugs – schon für die Ostermesse – seinen Expediten und allzeitfertigen Liebebriefsteller an, den „alle Eltern ihren Kindern bescheren sollten“.

Mehr als durch diesen Lächeln provozierenden Witz konnte er nicht verlautbaren lassen, dass er selbst, der Erzähler und vielleicht der Erfinder des unglücklichen jungen Mannes, Gustavs Liebeskrämpfe recht eigentlich – lächerlich findet.

1799-1800 malte Füssli Das Schweigen