Info
24.04.2014, 12:45 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
images/lpbblogs/logenlogo_164.jpg
Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [400]: Kurz gesagt: Die Liebe ist der reine Stress

Gemalt im Jahre 1792: Hugh Douglas Hamiltons Cupid and Psyche in the nuptial bower (Amor und Psyche in der Hochzeitslaube), heute zu finden in der National Gallery of Ireland (Dublin).

400! Da muss etwas sehr Rundes her. Es passiert auch: in Form der Liebe, also des Gefühls der erfüllten und erfühlten Liebe.

Denn Gustav und Beata müssen wir uns ja – wir beneiden sie ein bisschen – als glücklich Liebende vorstellen. Der Sturm der Gefühle setzt den beiden so zu, dass der Erzähler, der in sein biographisches Dintenfaß eintunkt und derweilen die Zurüstungen des Hausherren auf Weihnachten festhält, zu schönen Sentenzen findet:

Die höchste Wärme ersetzt die höchste Kälte oder Apathie; und unter der Täucherglocke einer heftigen Idee – sei es eine fixe oder eine leidenschaftliche oder eine wissenschaftliche – stecken wir beschirmt vor dem ganzen äußern Ozean.

Die Liebe steht – indes andre Leidenschaften nur wie Erdstöße, wie Blitze an uns fahren – wie ein stiller durchsichtiger Nachsommertag mit ihrem ganzen Himmel in der Seele unverrückt. Sie gibt uns einen Vorschmack von der Seligkeit des Dichters, dessen Brust ein fortblühendes, tönendes, schimmerndes Paradies umfängt und der hineinsteigen kann, indes sein äußerer Körper das Eden und sich über polnischen Kot, holländischen Sumpf und siberische Steppen trägt.

Wäre ich ein „normaler“ Aphorismuskompilator, hätte ich dieses Zitat schon deshalb vor dem letzten Komma abgebrochen, weil 1. die Erläuterung mit den drei Vergleichsbeispielen zu ausführlich und konkret ausgefallen ist und 2. der Hinweis auf den „polnischen Kot“ nicht mehr ins Bild des „humanistischen“ Jean Paul passt. Dann hätte der Aphorismus so ausgesehen:

Die Liebe steht – indes andre Leidenschaften nur wie Erdstöße, wie Blitze an uns fahren – wie ein stiller durchsichtiger Nachsommertag mit ihrem ganzen Himmel in der Seele unverrückt. Sie gibt uns einen Vorschmack von der Seligkeit des Dichters, dessen Brust ein fortblühendes, tönendes, schimmerndes Paradies umfängt.

Ich suche in den Florilegiensammlungen, die Jean Paul so verhasst waren, nach diesem Zitat – und ich finde es in einer stark verkürzten Fassung – in Johann Genersischs Blüthen von Jean Paul Friedrich Richter und Johann Gottfried v. Herder (von 1821):

Die Liebe steht – indes andre Leidenschaften nur wie Erdstöße, wie Blitze an uns fahren – wie ein stiller durchsichtiger Nachsommertag mit ihrem ganzen Himmel in der Seele unverrückt.

Das klingt schon wesentlich banaler. Bei all dem aber sollte man nicht vergessen, dass die „Liebe“, die Jean Paul hier als Gustavs und Beatas Paarbeziehung beschreibt, erst einmal Verliebtheit ist. Diese schöne Verliebtheit aber ist, rein physiologisch betrachtet, mit jenem hässlichen Zustand identisch, den man als „Stress“ bezeichnet. Hier wie dort werden, wenn ich mich richtig erinnere, akkurat dieselben Stoffe ausgeschüttet.

„Die 'Liebe' ist der reine Stress“ – dieser sehr kurze, wissenschaftlich geprüfte Aphorismus klingt natürlich nicht so schön wie folgender:

Die Liebe steht wie ein stiller durchsichtiger Nachsommertag mit ihrem ganzen Himmel in der Seele unverrückt.

Verwandte Inhalte
Autoren
Autoren