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12.02.2014, 15:24 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [347]: Beata ist keine Ophelia

Tragik und Ironie verflechten sich sanft, wenn Jean Paul die berühmteste Totengräberszene der Weltliteratur ins Spiel bringt, nachdem er den „größten Jammer“ beschrieben hat: die nächtliche (!) Beerdigung Amandus' hier, der Gustav dort, auf einem anderen Hügel, die Beerdigung seines toten Freundes beobachtend.

Ist Gustav ein Hamlet? Gewiss nicht – aber er teilt mit ihm das Talent zur Tatenlosigkeit; ob er wie Hamlet zu reflektieren weiß, bezweifle ich, denn für intellektuelle Überlegungen bot er bislang noch keinen geistigen Platz: nur dumpfe Aufruhr gegen „das Unrecht“, Emphase, jugendliches Sehnen, heiße Liebesgefühle – aber Beata ist keine Ophelia: auch dafür fehlt ihr die sprachliche Kompetenz. Es muss auffallen, dass der Autor seine ganze sprachliche Gewalt der Erzählung, nicht den Erzählten mitzugeben weiß. Dialoge sind nicht seine Stärke, auch hierin unterscheidet er sich von „Shakespeare“. Es gab gute Gründe, warum er nie ein Theaterstück geschrieben hat, das anderen Gesetzen gehorchen muss als ein aus- und abschweifender Roman.[1]

Also schreibt er: Schenkt mir diese Totengräberszene! Sie ist auch nicht so witzig und so sophisticated und so unpathetisch und gelehrt[2] wie die Totengräberszene des Hamlet – aber sie wird erinnert! Hier also zu unserer Erinnerung der Beginn des V. Akts, in der „klassischen“ Übersetzung von Schlegel/Tieck:


Ein Kirchhof

Zwei Totengräber kommen mit Spaten usw.

ERSTER TOTENGRÄBER
Soll die ein christlich Begräbnis erhalten, die vorsätzlich ihre eigne Seligkeit sucht?

ZWEITER TOTENGRÄBER
Ich sage dir, sie solls, mach also flugs ihr Grab. Der Totenbeschauer hat über sie gesessen und christlich Begräbnis erkannt.

ERSTER TOTENGRÄBER
Wie kann das sein, wenn sie sich nicht defensionsweise ertränkt hat?

ZWEITER TOTENGRÄBER
Nun, es ist so befunden.

ERSTER TOTENGRÄBER
Es muss aber se offendendo geschehn, es kann nicht anders sein. Denn dies ist der Punkt: Wenn ich mich wissentlich ertränke, so beweist es eine Handlung, und eine Handlung hat drei Stücke: sie besteht in Handeln, Tun und Verrichten: Ergel hat sie sich wissentlich ertränkt!

ZWEITER TOTENGRÄBER
Ei, hört doch, Gevatter Schaufler!

ERSTER TOTENGRÄBER
Erlaubt mir! Hier steht das Wasser: gut; hier steht der Mensch: gut! - Wenn der Mensch zu diesem Wasser geht und sich selbst ertränkt, so bleibts dabei, er mag wollen oder nicht, dass er hingeht. Merkt Euch das! Aber wenn das Wasser zu ihm kommt und ihn ertränkt, so ertränkt er sich nicht selbst. Ergel, wer an seinem eignen Tode nicht schuld ist, verkürzt sein eignes Leben nicht.

ZWEITER TOTENGRÄBER
Ist das Rechtens?

ERSTER TOTENGRÄBER
Ei freilich, nach dem Totenbeschauer-Recht.

ZWEITER TOTENGRÄBER
Wollt Ihr die Wahrheit wissen? Wenns kein vornehmes Fräulein gewesen wäre, so wäre sie auch nicht auf geweihtem Boden begraben.

ERSTER TOTENGRÄBER
Ja, da haben wirs. Und es ist doch ein Jammer, dass die großen Leute in dieser Welt mehr Aufmunterung haben, sich zu hängen und zu ersäufen, als ihre Christenbrüder. Komm, den Spaten her! Es gibt keine so alten Edelleute als Gärtner, Grabenmacher und Totengräber: sie pflanzen Adams Profession fort.

ZWEITER TOTENGRÄBER
War der ein Edelmann?

ERSTER TOTENGRÄBER
Er war der erste, der je armiert war.

ZWEITER TOTENGRÄBER
Ei, was wollt er!

ERSTER TOTENGRÄBER
Was? Bist ein Heide? Wie legst du die Schrift aus? Die Schrift sagt: Adam grub. Konnte er ohne Arme graben? Ich will dir noch eine andere Frage vorlegen; wenn du mir nicht gehörig antwortest, so bekenne -

ZWEITER TOTENGRÄBER
Nur zu!

ERSTER TOTENGRÄBER
Wer baut fester als der Maurer, der Schiffsbaumeister oder der Zimmermann?

ZWEITER TOTENGRÄBER
Der Galgenmacher, denn sein Gebäude
überlebt an die tausend Bewohner.

ERSTER TOTENGRÄBER
Dein Witz gefällt mir, meiner Treu. Der Galgen tut gut; aber wie tut er gut? Er tut gut an denen, die übel tun. Nun tust du übel zu sagen, dass der Galgen stärker gebaut ist als die Kirche, also würde der Galgen an dir gut tun. Noch mal dran, frisch!

ZWEITER TOTENGRÄBER
Wer stärker baut als ein Maurer, ein Schiffsbaumeister oder ein Zimmermann?

ERSTER TOTENGRÄBER
Ja, sag mir das, und du sollst Feierabend haben.

ZWEITER TOTENGRÄBER
Mein Seel, nun kann ichs sagen!

ERSTER TOTENGRÄBER
Frisch!

ZWEITER TOTENGRÄBER
Sapperment, ich kanns doch nicht sagen!
Hamlet und Horatio treten in einiger Entfernung auf.

ERSTER TOTENGRÄBER
Zerbrich dir den Kopf nicht weiter darum, der dumme Esel geht doch nicht schneller, wie du ihn auch prügeln magst, und wenn dir jemand das nächste Mal die Frage tut, antworte: der Totengräber. Die Häuser, die er baut, währen bis zum Jüngsten Tage. Geh, mach dich ins Wirtshaus und hole mir einen Schoppen Branntwein.
Zweiter Totengräber ab.

ERSTER TOTENGRÄBER
gräbt und singt.

                In jungen Tagen ich lieben tät,
                Das dünkte mir so süß.
                Die Zeit - oh - zu verbringen - ah - früh und spät,
                Behagte mir - ah - nichts wie dies.

HAMLET
Hat dieser Kerl kein Gefühl von seinem Geschäft? Er gräbt ein Grab und singt dazu.

HORATIO
Die Gewohnheit hat es ihm zu einer leichten Sache gemacht.

HAMLET
So pflegt es zu sein; je weniger eine Hand verrichtet, desto zarter ist ihr Gefühl.

ERSTER TOTENGRÄBER
singt.

                Doch Alter mit dem schleichenden Tritt
                Hat mich gepackt mit der Faust
                Und hat mich weg aus dem Lande geschifft,
                Als hätt ich da nimmer gehaust.

Wirft einen Schädel auf.

Und nun zum Vergleich die analoge Szene bei Jean Paul:

Schenkt mir diese Totengräberszene! Ihr wisset nicht, welche herbstliche Erinnerungen dabei mein Blut so leichen-langsam machen wie meine Feder: ach in diese Geschichte schreib' ich ohnehin ein Blatt, ein Trauerblatt, dessen breiter schwarzer Rand kaum den Zügen und Klagen mit Tränen eine weiße enge Stelle lässet – ich schenk' euch diese Szene auch; denn ich weiß auch nicht, Leser mit dem schönern Herzen, wen ihr schon verloren habt, ich weiß nicht, welche liebe dahingegangne Gestalt, deren Grab schon so eingesunken ist als sie selber, ich gleich einem Traume wieder auf ihrer Grabplatte in die Höhe richte und eueren tränenden Augen von neuem zeige, und an wie viel Tote ein einziges Grab erinnere!

Das ist wunderbar, indem es den Leser auf sein Eigenstes zurückwirft, wobei sich Jean Paul an die Toten erinnerte, die ihm bereits begegneten: Eindrücke, die in seinen Schwarzenbacher Jahren noch jung waren – und im Roman zu zeitlosen Reflektionsgegenständen verarbeitet wurden, die auch uns noch betreffen, die wir – genug, der Leser weiß, was gemeint ist.

Hamlet and the gravediggers: die beiden Illustrationen stammen von Füssli und Delacroix. Auch der Franzose war ein Zeitgenosse Jean Pauls, der schon 27 Jahre alt war, als Jean Paul starb.

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[1] Was nicht bedeutet, dass man Jean Pauls Romane nicht für die Bühne oder den Film einrichten kann – nur muss man so ehrlich sein, die theatralischen Fassungen „nach“ Jean Paul unters Volk zu bringen.

[2] Der Autor dieser Szene hatte intime Kenntnisse des differenziertesten Rechtswesens und zeitgenössischer philosophischer Diskurse: wieder ein Beweis für den Earl de Vere, der – anders als der illiterate Kaufmann aus Stratford – seine Studien nicht (nur) auf der Straße oder in den Tavernen betrieb, sondern auch auf der Universität.

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