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17.08.2013, 10:57 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [229]: Homannische Karten?

Es ist ja für einen erfahrenen Paulologen nicht so sehr originell, aneinandergereihte Hauptsätze zu lesen, mit denen ein Panorama entworfen wird – aber die Collage macht immer wieder Spaß. Hier beschreibt der Erzähler, was morgens geschehen ist: hier, genau hier, wo er sitzt und schreibt, in seiner Stube in Schwarzenbach an der Saale, aber in Wahrheit befinden wir uns nicht in der Schreibstube, sondern der Traumstube des Dichters:

Unter meinen Füßen zerhämmert der Schulmeister schon den Sonntagzucker; meine Schwester hat mich schon viermal ausgelacht; der Senior Setzmann hat schon aus seinem Fenster meinem Hausherrn die nötigsten heutigen Religionedikte zugepfiffen; die Uhr ist, wie Hiskias Sonnenuhr, von der Wunderkraft des dekretierenden Pfeifens eine Stunde zurückgegangen...

Aber wer weiß: vielleicht hat er ja gelegentlich folgende Aktion ausgeführt (es ist nicht wichtig, ob er das gemacht hat, denn es ist wichtiger, dass er sie ge- und/oder erfunden hat):

Die Sonne steht meinem Gesichte gegenüber und macht mein biographisches Papier zu einem blanken Mosis-Angesicht; daher ists mein Glück, dass ich ein Federmesser und Östreich oder Böhmen oder das Jesuiter-Deutschland nehme – nämlich Homannische Karten davon – und mit dem Messer diese Länder über meinem Fenster aufnagele und einpfähle; ein solches Land hält allemal die Morgensonne so gut ab und wirft so viel Schatten herüber, als hätt' ich die Tändelschürze oder das Pallium eines Fenstervorhangs daran.

Homannische Karten? Auch dies ist ein Motiv. Wie das Mosis-Angesicht oder die Moses-Decke, die ich aus einer der schönsten Passagen des Siebenkäs kenne. Die Homannischen Karten sind mir aus dem Rektor Fälbel vertraut: (denn wir haben sie auf einer der Tafeln des Jean-Paul-Wegs untergebracht: unter dem Titel „Das Kreuz mit den Wanderkarten“):

Übrigens ist der Rektor seitdem vollkommen überzeugt, dass die homannischen Karten nichts taugen – in der Tat, wenn auf ihnen (nicht auf der Gegend) ganze Einöden, Wasenmeisterhütten, ausspringende Winkel der Ufer entweder ganz mangeln (wie z.B. ein Pulvermagazin nahe bei Hof und ein etwas weiter abgelegenes Spinnhaus) oder doch dasitzen in ganz falschen Entfernungen: so kann man wohl fragen: ob, wenn man von diesen Gegenden mit der camera obscura einen Aufriß nähme und dann die Karte über den Aufriß legte, ob da wohl beide einander decken würden wie zwei gleiche Δ?

Homann, den man – neben Jean Paul – auch in der Münchner Ruhmeshalle ehrte[1], starb im Jahre 1724 in Nürnberg, wo er seit den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts gelebt hatte. Hier schuf er, nach Zwischenstationen in Wien und Leipzig, seit 1702 seine berühmten Karten. Zu Jean Pauls Zeiten hieß die Firma schließlich Homanns Erben oder  Homannsche Erben.

Es ist, in Hinblick auf Jean Pauls satirische Homannkritik, vielleicht nicht uninteressant, dass er auch Fantasiekarten produzierte, die bis heute bekannt sind: etwa die accurata tabulae utopiae, also die Ansicht vom Schlaraffenland.

Wenn auf ihnen (nicht auf der Gegend) ganze Einöden, Wasenmeisterhütten, ausspringende Winkel der Ufer entweder ganz mangeln (wie z.B. ein Pulvermagazin nahe bei Hof und ein etwas weiter abgelegenes Spinnhaus) oder doch dasitzen in ganz falschen Entfernungen... Man vergleiche die Homannische Karte des Hochstifts Bamberg mit der Gegend...

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[1] Leider gehörte seine Büste zu jenen, die im Krieg zerstört und nicht wiederhergestellt wurden.

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