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12.04.2013, 14:02 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [126]: Vergossene Lympha und tödliche Entkräftungen

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So einer möchte „Jean Paul“ werden: ein Advokat, hier eingefangen in einer Studie Honoré Daumiers.

Um es in der Sprache der Bibel zu sagen: „Herrlich, herrlich, herrlich!“ Der Beginn des 19. Sektors ist so frisch und unmittelbar, dass der Leser jubeln möchte. Um genau ihn geht es, wenn ihn der Erzähler dieser „Biographie“ daran erinnern muss, was bisher geschah. Ist ja auch schon ein wenig länger her, dass wir mit Falkenbergs Geldgeschäften befasst waren. Der Leser ist vergesslich; kein Wunder, wenn er für 30 Zeilen mindestens einen Tag braucht. „Ist aber auf Leser zu bauen?“, fragt „Jean Paul“ bange. „Ich weiß nicht, wohers beim deutschen Leser kommt, ob von einem Splitter im Gehirn oder von vergossener Lympha oder von tödlichen Entkräftungen, dass er alles vergisset, was der Schriftsteller gesagt hat – oder es kann auch von Infarktus oder von versetzten Ausleerungen herrühren“. Vergossene Lympha – man möchte sich das nicht wirklich vorstellen.

Und so teilt er u.a. mit, dass er Gerichthalter werden will und – aber Moment: was ist eigentlich ein Gerichthalter?? Wie gut, dass es Wiki gibt... Demgemäß war ein Gerichtshalter, „auch als Gerichtsverwalter oder Justitiarius bezeichnet, ein Gerichtsbeamter, der im Rahmen der Patrimonialgerichtsbarkeit für den Gutsherrn, auch Gerichtsherr genannt, als der zur Handhabung dieser Jurisdiktion bestellte Gerichtsbeamte die Rechtspflege ausübte“. Gleichzeitig schreibt „Jean Paul“, dass er sich zum Advokaten examinieren lässt. Ein Advokat aber war ein Jurist, der „den Kontakt mit dem Rechtssuchenden pflegte, die Mandanten beriet und sie auch in außergerichtlichen Geschäften rechtlich betreute“. Bezeichnet das Gerichtshalten eine persönliche Abhängigkeit vom Herren, so der Advokatenstand eine freiere Beziehung eben zum Mandanten. Offensichtlich verwendet „Jean Paul“ hier den Begriff des Advokaten in einem eher lässlichen, juristisch gesprochen: gesetzmäßig nicht legitimierten Sinn.

Wer mehr darüber wissen will, könnte bei Hesse nachschlagen: Christian August Hesse: Ansichten über die Patrimonialgerichtsbarkeit, insonderheit über das zwischen dem Gerichtsherrn und seinem Gerichtsverwalter gemeinrechtlich bestehende Rechtsverhältniß, erschienen in Altenburg in dem Jahr, in dem das Bayreuther Jean-Paul-Denkmal eingeweiht wurde – aber das ist dann nicht mehr herrlich, nur gutsherrlich.

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