Info
Geburtsjahr: 1560
in Augsburg
Todesjahr: 1587 in Augsburg
(c) Verlag Friedrich Pustet

Jonas Losch

Jonas Losch ist ein Beispiel für die besonders in den großen Reichsstädten des 16. Jahrhunderts bestehende Tradition von Handwerkern, sich neben ihrem Brotberuf auch als Sänger und Schriftsteller zu betätigen. Das bekannteste Beispiel ist der Nürnberger Schuhmachermeister Hans Sachs, der eine Generation vor Jonas Losch wirkt.

Geboren wird Jonas Losch um das Jahr 1560 herum in Augsburg. Neben seinem Hauptberuf als Weber betätigt er sich als Hochzeitssänger. Losch verdient sich durch seine Nebentätigkeit ein Zubrot, was angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sich das Weberhandwerk gegen Ende des 16. Jahrhunderts befindet, sicher auch ratsam ist. Die Geschichte vom fleißigen, sich nur nebenher ein wenig literarisch und künstlerisch betätigenden Handwerker ist allerdings Jonas Loschs Selbstdarstellung. Ganz anders liest sich, was über ihn in einer der beiden anonymen Anzeigen behauptet wird, die zu seiner Verhaftung führen und einen Prozess gegen ihn ins Rollen bringen.

Hintergrund sind die konfessionell geprägten Auseinandersetzungen um die Einführung des Gregorianischen Kalenders im Jahre 1582, die als „Augsburger Kalenderstreit“ in die Geschichtsschreibung eingehen. Die protestantische Bevölkerungsmehrheit der Reichsstadt empfindet die zwangsweise Einführung des neuen Kalenders, der den Namen des ihr verhassten römischen Papstes trägt, als Affront. Weil der neue Kalender zur Streichung von zehn Kalendertagen führt, halten die Evangelischen ihn für ein Komplott, um sie an der Begehung ihrer religiösen Feiertage zu hindern. Zur Verteidigung der protestantischen Sache gehen viele Augsburger Handwerker auf die Straße. Am 4. Juni 1584 kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, doch kann die Lage noch einmal beruhigt werden. In den nachfolgenden Monaten sucht man der vermeintlichen Rädelsführer des Aufruhrs habhaft zu werden. Einer der Verhafteten ist Jonas Losch.

Im Verhör wird Losch nach aufrührerischen Liedern befragt, die er angeblich verfasst habe. Laut Verhörprotokoll vom 3. September 1584 sagt er aus:

Er hab wol allerley lieder vnnd derselben biß in 30 gemacht, welche man zum tantzen vnd singen gebraucht, von disen hab der her [Bürgermeister] Jlsung bei .5. [in Händen] ǂ [am Rand: ǂ darunder eins vom Babst] vnnd dann so hab er die andern in ein buech zusamen geschriben, welches buech in seinem hauß in der stuben auf einem bret ob [‚oberhalb‘] der thür lige, seien aber nur von Bulereien [‚Liebesangelegenheiten‘], vnd kaine schend lieder [‚Schmäh- und Spottlieder‘].

Dass er keine anstößigen Schmäh- und Spottlieder gemacht habe, ist sicherlich eine Schutzbehauptung. Losch verschweigt, dass sich in dem Buch auf dem Brett über seiner Stubentür auch zwei brisantere Texte befanden, nämlich ein Lied mit scharfer Kritik an den Ulmer Handwerksmeistern und ein weiteres mit üblen, an die Adresse einer Ulmer Köchin gerichteten Schmähungen. Festgenommen wird er aber nicht in erster Linie wegen dieser Lieder, sondern weil er im Verdacht steht, direkt gegen die Augsburger Obrigkeit gerichtete Texte verfasst zu haben.

Dass er der Urheber oder zumindest Abschreiber der Texte seiner Sammlung gewesen ist, kann Losch nicht gut abstreiten, denn er pflegt alles, was er schreibt, zu signieren. Die von ihm selbst gedichteten Stücke versieht er in der Regel mit seinem vollen Namen, meistens auch noch zusätzlich mit seinen Namensinitialen.

Die insgesamt 31 erhalten gebliebenen Stücke der – erst vor Kurzem im Zuge einer archivalischen Rettungs- und Umzugsaktion im Augsburger Stadtarchiv aufgefundenen – Lieder- und Reimspruchsammlung Loschs gliedern sich in 24 Strophenlieder, sechs Spruchgedichte über historische, konfessionspolemische und Liebes-Themen sowie in eine Exempelliste (die meisten der 24 aufgelisteten Personennamen bezeichnen Liebespaare und Liebende aus der antiken und humanistischen Literatur). Die Textmenge entspricht schätzungsweise 15% des ursprünglichen Umfangs von Loschs Sammlung. 

Was besonders ins Auge sticht, ist die große Vielfalt der Lieder hinsichtlich ihrer Autorschaft, der vertretenen Liedgattungen und behandelten Themen (geistliche Lieder, Tanzlieder, Kriegslied, Meistergesang, Schmäh- und Spottlied, sozialkritisches Lied, Erzähllied, Liebeslieder, historisches Lied, schwankhaftes Lied), des Umfangs der einzelnen Lieder (zwischen 12 und 288 Versen) sowie der Strophenformen (zwischen 3 und 20) und Melodien („Töne“). Elf Lieder, also nahezu die Hälfte des gesamten Liedbestandes, identifiziert Losch als eigene Dichtungen (L 2, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 20, 25, 27, 28). Dreizehn Lieder übernimmt er von anderen Autoren (L 1, 3, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 19, 26, 31).

Jonas Losch darf mit vollem Recht als Multitalent bezeichnet werden. Er ist nicht nur Lieder- und Reimspruchdichter, Komponist und Sänger eigener und von anderen übernommener Lieder, sondern auch ein gewandter Schreiber, der alle Texte eigenhändig niederschreibt, dabei bestrebt, das von ihm Geschriebene ästhetisch ansprechend zu gestalten.

Bis zu seiner Entlassung nach beinahe zweimonatiger Untersuchungshaft muss Losch insgesamt vier Verhöre über sich ergehen lassen. Am schlimmsten ist das zweite vom 5. September 1584, denn diesmal kommt es – anders als bei den übrigen Verhören – zur Anwendung der Folter. Losch wird an einem Seil aufgehängt („aufgezogen“) und muss unter dieser Tortur seine Aussagen machen. Er fällt in Ohnmacht, die Prozedur wird vorzeitig abgebrochen. Nach ergangenem Schuldspruch wird Losch, der vor seiner Verhaftung nach Ulm geflohen, aber nach wenigen Monaten wieder nach Augsburg zurückgekehrt ist, freigelassen. Allerdings bleibt für ihn die Auflage bestehen, sich künftig des Verfassens und Vortragens anstößiger Lieder und Spruchgedichte zu enthalten.

Als Loschs Name im Jahr 1585 noch einmal in den Gerichtsakten auftaucht, ist der Anlass ein gewöhnlicher Nachbarschaftsstreit. Zwei Jahre später stirbt er bereits, denn 1587 wird auf Antrag seiner Witwe für seinen nachgelassenen Sohn Johannes eine Pflegschaft errichtet.

Verfasst von: Dr. Helmut Graser / Bayerische Staatsbibliothek

Sekundärliteratur:

Graser, Helmut; Tlusty, B. Ann (Hg.) (2015): Jonas Losch, Teutscher Dichter und Componist. Die Lieder- und Reimspruchsammlung eines Augsburger Webers aus den Jahren 1579-1583 (Editio Bavarica, 1). Verlag Friedrich Pustet, Regensburg.


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