Nervenärztin und Komikerin

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Liesl Karlstadt, Gastspiel Volkstheater 1958 (Bayerische Staatsbibliothek/Timpe)

Für Karl Valentin ist seine Partnerin privat und beruflich unentbehrlich. Liesl Karlstadt ist Bühnenpartnerin, Ideengeberin, Managerin, Psychiaterin – alles in einem:

So musste ich auch alles Geschäftliche für uns beide erledigen. Eines Abends hatten wir uns über einen Direktor, bei dem wir gerade engagiert waren, maßlos geärgert und überlegten, wie wir uns rächen könnten: „Weißt, was d' machst“, riet mir Valentin, „glei' morgen in der Früh' rufst an und schimpfst nach Noten – aber lass di' vorher falsch verbinden, dass er's net hört.“

(Liesl Karlstadt in der Einleitung zu Karl Kurt Wolter: Karl Valentin – privat. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens beobachtet. Günter Olzog Verlag, München 1958, S. 6.)

Das Zusammenspiel mit Valentin verlangt Liesl Karlstadt einiges ab. Der große Komiker ist ein Misanthrop und Hypochonder, ein Pessimist und ein von Ängsten geplagter Mensch, der seiner Umwelt das Leben schwer macht. Die seltenen Tourneen sind besonders für Liesl Karlstadt eine echte Herausforderung. Im August 1922 spielen die beiden zum ersten Mal außerhalb Münchens in der Züricher „Bonboniere“: „Ich hab' wochenlang meine ganze Überredungskunst aufbieten müssen, bis der Valentin den schönen Schweizer Vertrag mit zitternder Hand endlich unterschrieben hat. Aufgeführt hat er sich, als ob er sein eigenes Todesurteil unterzeichnet hätt'.“ (Liesl Karlstadt: Stürmische Bodenseefahrt. In: Dies.: Nebenbeschäftigung: Komikerin. Texte und Briefe. edition monacensia im Allitera Verlag, München 2002, S. 33.)

Liesl Karlstadt hingegen freut sich mächtig auf Zürich, und tatsächlich wird schon die Anreise zum bleibenden Erlebnis:

Wie dann der Zug mit uns aus dem Hauptbahnhof durch die Hackerbrücke hinausgefahren ist, war der Karl Valentin beinah' lebensmüd': „Ich versteh' di' net“, hat er immer wieder zu mir g'sagt, „wie kannst mir denn so was antun, wo ich doch's Bahnfahr'n so fürcht, muss i' jetzt bis in die Schweiz!“

(Liesl Karlstadt: Stürmische Bodenseefahrt. In: Dies.: Nebenbeschäftigung: Komikerin. Texte und Briefe. edition monacensia im Allitera Verlag, München 2002, S. 34.)

Immerfort sieht sich der Komiker größter Gefahr ausgesetzt, träumt von Eisenbahnunglücken, einstürzenden Gebäuden, unheilbaren Krankheiten. Zumeist ist es nur Liesl Karlstadt zu verdanken, dass er die Bühne überhaupt betritt und das Theater nicht schon vor Beginn der Vorstellung fluchtartig verlässt. Das Leben mit Valentin ist weder auf der Bühne noch im wirklichen Leben ein Vergnügen, wie jene Widmung Liesl Karlstadts auf einem Foto für Valentin zeigt: „Meinem komischen Partner und Patienten Karl Valentin in nie versagender Geduld gewidmet von Liesl Karlstadt. Beruf: Nervenärztin, Nebenbeschäftigung: Komikerin.“ (Liesl Karlstadt an Karl Valentin 1932. In: Münz, Elisabeth; Münz, Erwin [Hg.] [1978]: Geschriebenes von und an Karl Valentin. Süddeutscher Verlag, München, S. 168.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl