Luise Rinser - Die Prophetin der Liebe

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Luise Rinser 1981 (Bayerische Staatsbibliothek/Timpe)

Nur wenige Schriftsteller mischten sich nicht nur mit Schriften sondern auch mit Taten derart in die Nachkriegspolitik ein wie Luise Rinser. Während der Studentenbewegung unterstützte sie die Studenten und setzte sich vehement für die Verhinderung der Notstandsgesetzgebung ein. Sie kämpfte für Frauenrechte und die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen und solidarisierte sich mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin, wofür sie im Heißen Herbst 1977 öffentlich von Politikern und Rechtsradikalen beschimpft wurde. 1972 machte sie Wahlkampf für Willy Brandt, den sie sehr verehrte. Zusammen mit Heinrich Böll und Günter Grass bekämpfte sie den NATO-Doppelbeschluss, demonstrierte gegen die WAA in Wackersdorf und in Heilbronn vor dem amerikanischen Raketenstützpunkt. In den 1980er-Jahren wandte sie sich verstärkt der Friedensbewegung zu:

Im Dezember 1983 versuchten wir Schriftsteller am amerikanischen Raketenstandort in Heilbronn mit dem dort stationierten US-Kommandanten zu verhandeln, das heißt mit ihm zu reden. Über den Friedenswillen der Deutschen zu reden. Ein naives Unterfangen, zugegeben. [...] Man ließ uns vor der Einzäunung stehen. Wir waren nicht vorhanden. Wir waren weniger als streunende räudige Hunde.

(Luise Rinser: Saturn auf der Sonne. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 60)

1984 wurde die bedeutende Linkskatholikin von den GRÜNEN für das Amt der Bundespräsidentin vorgeschlagen. Sie wäre eine streitbare Präsidentin geworden, dies beweist allein ihr Redeentwurf für den Fall, dass sie gewählt worden wäre:

Ich werde die Karten auf den Tisch legen und das Spiel überwachen, sobald ich seine Regeln kenne. [...] Ich werde als Christ [...] mich für alle Minderheiten einsetzen, die zum Leiden verurteilt sind [...]. Meine Sorge wird gelten den Behinderten, den ausländischen Arbeitern, den deutschen Zigeunern, Sinti genannt, und den Strafgefangenen. [...] Ich werde politisch Hetze ahnden lassen, und zwar ohne Rücksicht darauf, wem sie gilt. [...] Ich werde versuchen, den Verteidigungsminister und seine Freunde aus der Schwerindustrie davon zu überzeugen, dass die Kosten für die Rüstung beschnitten werden müssen zugunsten jener für Kultur. [...]

Und nun, liebe Freunde und Feinde, sehen Sie zu, wie sie mit einer so unbequemen Person zurechtkommen.

(Luise Rinser: Redeentwurf zur Wahl des Bundespräsidenten am 23. Mai 1984. In: Luise Rinser: Materialien zu Leben und Werk. Hg. v. Hans-Rüdiger Schwab. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1986, S. 57-59)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl

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