Familie

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Detail des Heiratseintrags von J. C. C. Richter und S. R. Kuhn (c) Dr. Peter Seißer/Wunsiedel

Großeltern

Jean Paul beginnt seine SELBERLEBENSBESCHREIBUNG mit der eigenen Geburt und lässt anschließend den »Gegenstand dieser historischen Vorlesungen« - sich selbst als Säugling - »unbesehen in der Wiege und an der Mutterbrust so lange liegen und schlafen«, um von seinen »Vorverwandten« zu erzählen. Von den Frauen ist nur am Rande die Rede, da den weiblichen Mitgliedern der Familie vor allem die häuslichen - das heißt: literarisch vermeintlich uninteressanten - Pflichten oblagen.

Johann Richter (1687-1763), der Großvater väterlicherseits, stammt aus einer Färberfamilie aus Schwarzenbach an der Saale. Er tritt nicht in die Fußstapfen seines Vaters, sondern studiert Theologie: die einzige höhere Bildung, die Kindern aus armen Verhältnissen damals offensteht. Über Johann Richters Frau weiß man kaum mehr als den Namen Magdalena Margaretha Hugo und dass sie die Tochter eines Pfarrers ist.

Johann Richter beginnt als Lehrer und Pfarrer in Rehau, wird dann Rektor in Neustadt am Kulm. Weiter hinauf steigt er nicht: Jede neue Stelle bringt zwar einen besseren Verdienst, jedoch müssen solche Posten gekauft werden, und deren Preis übersteigt nicht selten ein Mehrfaches des Monatsgehalts. Johann Richter stirbt im August 1763, wenige Monate nach der Geburt von Johann Paul Friedrich Richter - der sich laut SELBERLEBENSBESCHREIBUNG dennoch an ihn erinnert (siehe Zitat).

Dem Großvater mütterlicherseits verdankt Johann Paul Friedrich Richter zwei seiner Taufnamen: Johann Paul Kuhn (1710-1780) ist im sächsischen Plauen geboren. Als er nach Hof übersiedelt, bringt er das vorherrschende Handwerk seiner Geburtsstadt mit und etabliert sich als Färber und Tuchmacher. Um 1735 heiratet Kuhn die neun Jahre ältere Eva Barbara Zapf. Jean Paul stellt die Kuhns in seiner SELBERLEBENSBESCHREIBUNG als wohlhabend vor, was vor allem daran liegen dürfte, dass Großvater Kuhn die Familie des späteren Schriftstellers finanziell unterstützt, da seine Erstgeborene Sophia Rosina (1737-1797) ihren Mann Johann Christian Christoph Richter bereits 1779 verliert (siehe Eltern).

[Jean Paul, SELBERLEBENSBESCHREIBUNG]

Es traf sich aber endlich im Jahre 1763 - eben in meinem Geburtjahr -, daß er [Johann Richter] am 6ten August, wahrscheinlich durch besondere Konnexionen mit Höhern steigend, eine der wichtigsten Stellen erhielt, wogegen freilich Rektorat und Stadt und der Culmberg leicht hinzugeben waren, und zwar zählte er gerade erst 76 Jahre, 4 Monate und 8 Tage, als er die gedachte Stelle wirklich erhielt im Neustädter - Gottesacker; seine Gattin aber war ihm schon 20 Jahre vorher dahin vorausgegangen in die Nebenstelle. - Meine Eltern waren mit mir als 5 Monat altem Kinde zu seinem Sterbelager gereiset. Er war im Sterben, als ein Geistlicher (wie mir mein Vater öfter erzählt) zu meinen Eltern sagte: lasset doch den alten Jakob die Hand auf das Kind legen, damit er es segne. Ich wurde in das Sterbebett hineingereicht und er legte die Hand auf meinen Kopf - - Frommer Großvater! Oft hab´ ich an deine im Erkalten segnende Hand gedacht, wenn mich das Schicksal aus dunkeln Stunden in hellere führte; und ich darf schon den Glauben an deinen Segen festhalten in dieser von Wundern und Geistern durchdrungenen, regierten und beseelten Welt!

Marcus Boshkow liest aus Jean Pauls SELBERLEBENSBESCHREIBUNG:

 

Eltern

Dass die Ehe seiner Eltern überhaupt zustande kommt, ist - wenn man der SELBERLEBENSBESCHREIBUNG von Jean Paul glauben will - allein »der persönlichen Erscheinung« sowie dem »Ruhm und Eindruck großer Kanzelgaben« des Vaters geschuldet, der »durch seine begeisterten Predigten seine Anverwandten, in Hof im Vogtland noch etwas Wichtigeres, eine Braut und was noch schwerer war, die reichen Schwiegereltern dazu« gewinnt.

Tatsächlich ist Johann Christian Christoph Richter (*1727) wohl nicht die beste Partie, die sich der Hofer Tuchmacher Kuhn für seine Erstgeborene Sophia Rosina (*1737) vorstellen kann. Richter, Sohn eines Pfarrers aus Neustadt am Kulm, verdient zunächst als Hauslehrer seinen Unterhalt; immerhin von einer musikalischen Karriere, von der er irgendwann einmal geträumt haben mag, sieht er vernünftigerweise ab. 1759 erhält er eine Stelle als Tertius, als dritter Lehrer, an der Schule in Wunsiedel. Nun ist endlich ein geregeltes, wenn auch äußerst geringes Einkommen vorhanden, so dass er sich eine Braut suchen kann: Am 13. Oktober 1761 heiratet er Sophia Rosina. Dass diese ihre Ansprüche wird zurückschrauben müssen, ist kein Geheimnis. »Aber meine Mutter - so waren die damaligen Eheleute und einige jetzige - stieß sich in der ganzen Ehe so wenig an diese Leerheit als mein Vater selber«, schreibt Jean Paul in der SELBERLEBENSBESCHREIBUNG: »Der kräftige Mann muß den Mut haben, ebensogut eine Landreiche zu ehelichen als eine Hausarme.«

Allein, die Geschichte endet nicht so fröhlich, wie diese Sätze klingen. Der Vater des zukünftigen Schriftstellers stirbt bereits 1779. Großvater Kuhn, der seine Tochter und deren fünf Söhne, die nun gleichsam ohne Einkommen dastehen, unterstützt, überlebt seinen Schwiegersohn nur um ein Jahr. Bis zu ihrem Tod 1797 bestimmen finanzielle Nöte das Leben von Sophia Richter.

[Jean Paul, SELBERLEBENSBESCHREIBUNG]

Nur einen einzigen Fehlentschluß meines Vaters könnte man vielleicht auf die Rechnung der Dürftigkeit setzen, daß er nämlich anstatt sein ganzes musikalisches Herz der Tonmuse zu geloben, wie ein Mönch sich dem Predigtamte hingab und daß er sein Ton-Genie in eine Dorfkirche begraben ließ. Freilich war damals - zumal nach der Meinung bürgerlicher Schwiegereltern - das Kirchenschiff das Proviant- und Luftschiff und der dürftige Musensohn suchte in den Kanzelhafen einzulaufen. Aber wer eine nicht von Bedürfnissen und Abrichtungen aufgedrungne mit ihm aufgewachsene Deklination und Inklination seiner Magnetnadel in sich fühlt: der folge ihrer Weisung getrost als einer Nadel durch die Wüste hin. Hätte gegenwärtiger Professor der eignen Geschichte seinem Vater, wie dieser es selber begehrte, nachgeahmt: so hielte er jetzo statt dieser Vorlesungen heilige Amtreden, sowohl Kasual- als andere Reden und etwan im »allgemeinen Magazin für Prediger« dürft´ er stehen, nur leider dasselbe über Gebühr anschwellend.

Marcus Boshkow liest aus Jean Pauls SELBERLEBENSBESCHREIBUNG:

 

Geschwister

In seiner Autobiografie SELBERLEBENSBESCHREIBUNG berichtet Jean Paul, dass er nicht das erste Kind seiner Eltern ist. Vor ihm bringt seine Mutter ein Mädchen zur Welt, das jedoch kein Jahr alt wird: »Es ist eine bekannte Beobachtung, daß die Erstgebornen gewöhnlich weiblichen Geschlechtes sind. Von dieser Beobachtung macht der Gegenstand dieser Geschichte keine Ausnahme ungeachtet seines Rechts der Erstgeburt; denn da die Eltern im Oktober 1761 getrauet und er 1763 im März geboren worden: so ging ihm (wie er gehört) ein Wesen - für die Erde nur ein Schatten - voraus«.

Zwei weitere Schwestern sterben im Alter von nur wenigen Monaten - kein Sonderfall in diesen Jahren und dieser Gegend, da die Säuglingssterblichkeit hoch ist: Rosina Barbara (27.7.1766-23.4.1767) und Sophie Jakobine Ottilie (2.9.1774-22.3.1775). Die vier Brüder von Friedrich Richter dagegen überleben: Johann Adam Christian, geboren am 9. Oktober 1764; Johann Gottlieb, geboren am 8. Mai 1768; Justus Heinrich Wilhelm Christian, geboren am 3. Juni 1770, und Johann Samuel, geboren am 6. Januar 1778.

Ein zu damaligen Zeiten sehr hohes Alter erreicht Gottlieb, der seinen ältesten Bruder um 25 Jahre überlebt und im Alter von 82 Jahren, am 16. Juni 1850, in Bayreuth stirbt. Den anderen Brüdern ist dagegen weniger Lebens- und auch kein Eheglück beschieden. Die Leiche des erst 18-jährigen Heinrich wird im April 1789 aus der Saale bei Hof gezogen; man nimmt an, dass er die Armut der Familie nicht mehr ertragen und sich deshalb ertränkt hat. Das Nesthäkchen Samuel wiederum stirbt im Alter von 29 Jahren, im September 1807, in einem Lazarett in Breslau - nach einem unsteten Leben als offenbar streitlustiger Soldat, der sich als Tunichtgut einen Namen machte und auch nicht davor zurückschreckte, seinen mittlerweile unter dem Namen »Jean Paul« berühmt gewordenen Bruder zu bestehlen.

[Jean Paul, An Sophie Rosine Richter, Leipzig, Juli (?) 1782]

Liebe Mama!

Ich bin weniger darüber erschrokken, daß mein Bruder [gemeint ist Adam] ein Soldat ist, als daß Sie sich darum so sehr ängstigen. Freilich wär´ es besser, wenn er bei seinem Metier geblieben wäre; aber doch, wenn man bedenkt, wie liederlich er immer war und wie er immer selbst verursachte, daß ihn kein Herr lange behielte, wenn man dies bedenkt, so ist der Schaden so gros nicht.

[...]

Nur gut daß ich völlig gesund bin. Ist Samuel von den Blattern wieder besser? Und wie stehts denn mit meinen Brüdern? Was wird denn aus ihnen? Vielleicht nichts. Sehen Sie doch, daß wenigstens Gottlieb wo ankömt; er ist ia schon so alt. Lassen Sie [ihn] ia nicht studiren. Wer nicht viele Gaben hat, der lasse es unterwegens, wenn er kein Geld hat.

[...]

Ehefrau (Karoline Richter)

Karoline Richter geb. Mayer wird am 7. Juni 1777 in Berlin geboren. Ihr Vater Johann Siegfried Wilhelm Mayer verkehrt als hoher preußischer Beamter in den führenden Kreisen der Stadt. Karoline ist das zweite Kind aus der ersten Ehe Mayers mit Karoline Germershausen. 1776 wurde Wilhelmine, genannt Minna, geboren; 1779 folgt Ernestine. Anfang der 1780er Jahre lassen sich die Eltern scheiden, Karolines Vater heiratet 1783 Maria Dorothea Siegfried, die bereits 1792 verstirbt. Seine dritte Ehe schließt er im Dezember 1802 mit Julie Henriette César, der Schwester der skandalumwitterten Schriftstellerin Pauline Wiesel.

Da die drei Töchter aus der ersten Ehe in einer intellektuell geprägten Welt aufwachsen, verwundert ihr Männergeschmack kaum. Minna heiratet 1797 Karl Spazier, den Herausgeber der ZEITUNG FÜR DIE ELEGANTE WELT; Ernestine vermählt sich 1801 mit dem Verleger und Unterhaltungsautor Siegfried August Mahlmann. Karoline lernt im Juni 1800 den Schriftsteller Jean Paul kennen und verlobt sich mit ihm noch im November. Er schreibt an Jacobi: »Sie hat das was ich bisher auf so vielen Irwegen aufsuchte und unterscheidet sich dadurch eben scharf von der vorigen Caroline [von Feuchtersleben].« Tatsächlich ist Karoline - im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen - eine Bürgerliche, die an ihrer untergeordneten Rolle nicht zweifelt.

Am 27. Mai 1801 heiraten die beiden, im Jahresabstand bringt Karoline drei Kinder zur Welt. Emma wird am 20. September 1802 geboren, Max am 9. November 1803 und Odilie am 9. November 1804. Die Ehe passt wohl in den Durchschnitt: Man streitet über Kindererziehung, denkt auch mal an Scheidung, und in späten Jahren wagt der Mann einen Seitensprung. Karoline verwindet Jean Pauls Küsserei mit Sophie Paulus nur schwer, auch weil er ihr freimütig davon berichtet.

Karoline überlebt ihren Mann um 35 Jahre. Bis 1850 lebt sie in der Wohnung in der Friedrichstraße in Bayreuth, 1860 stirbt sie mit 83 Jahren in München, wo auch ihre verheirateten Töchter inzwischen leben.

Kinder

Karoline Richter ist 25, ihr Mann 39 Jahre alt, als das erste Kind der beiden - Emma - am 20. September 1802 zur Welt kommt: »mit meiner Frau Näsgen, sonst alles von mir«. Für einen Mann ist das damals ein ungewöhnlich hohes Alter, um eine Familie zu gründen. Immerhin geht dann alles sehr schnell: Im Jahresabstand kommen zwei weitere Kinder zur Welt, jeweils am 9. November, Sohn Max im Jahr 1803 - »sieht viel klüger aus als sein Vater, aber nicht so angenehm« - und Tochter Odilie im Jahr 1804.

Da Jean Paul zuhause arbeitet, obliegt auch ihm ein Teil der Erziehung, die jedoch nicht sonderlich streng gehandhabt wird. Emma Richter erzählt später über ihren Vater: »Den Kindern war jeder Scherz gegen ihn erlaubt; oft baten wir: 'Vater tanz´ einmal', dann machte er einige Sprünge. [...] In der Dämmerstunde erzählte er uns früher Märchen oder sprach von Gott, von der Welt, dem Großvater und vielen herrlichen Dingen.«

Zugleich fordert Jean Paul Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Schon früh beteiligen sich Emma und Max an dem Briefverkehr des Vaters. Emma übernimmt bereits im zarten Alter von 14 Jahren Abschreibearbeiten, und Odilie hat die Pflege der zahlreichen Kleintiere zu übernehmen, wenn der Vater auf Reisen ist. Die Kleinste sorgt allerdings oft für Streit unter den Eheleuten: »Odilie [...] ist immer so krank, daß ich ewig mit ewig mit meiner Frau entweder zanke oder verzweifle.«

Eine höhere Bildung erhält nur der Sohn Max: Seit Oktober 1819 besucht er das Gymnasium in München und anschließend die Universität. Im September 1821 kommt er zu Besuch nach Bayreuth. Er ist schwerkrank - vermutlich Typhus oder Ruhr - und stirbt nur vier Tage später, am 25. September, gerade 18 Jahre alt. Diesen Tod verwindet Jean Paul nie.

Emma Richter heiratet 1826 Ernst Förster, der sich um den Nachlass von Jean Paul verdient machen wird. Odilie Richter vermählt sich 1829 mit dem Infanterieleutnant Friedrich Hake. Beide Schwestern verbringen ihren Lebensabend in München.

Adele Metzner spricht über ihren Ur-Ur-Großvater Jean Paul:

 

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Peter Czoik & Katrin Schuster