Französisches Gefängnistagebuch

Nach seiner Verhaftung am 28. April 1943 begann für Emil Alphons Rheinhardt eine Odyssee durch die Gefängnisse von Hyères, Nizza, Menton und Les Baumettes, wo er verhört und gefoltert wurde. In Haft begann er ein Tagebuch zu führen, das seine treue Sekretärin Erica de Behr, die sich aufopfernd um ihn kümmerte, unter nie geklärten Umständen aus dem Gefängnis schmuggeln konnte. An seinem 56. Geburtstag notierte er:
Heute ist der letzte Tag meines 55jährigen Lebens, welches das allerbitterste aller meiner Jahre gewesen ist. Mit ihm verglichen, erscheinen mir jetzt alle früheren Jahre als Festzeiten – ja jedes mutet mich wie ein Jubeljahr an. Wie gut war das Leben trotz allem bis zuletzt. Erst am 28. April 1943 hat das Fest des Lebens sein Ende genommen.
(Emil Alphons Rheinhardt: Tagebuch aus den Jahren 1943/44. Geschrieben in den Gefängnissen der Gestapo in Menton, Nizza und Les Baumettes [Marseille]. Hg. von Martin Krist. Turia + Kant Verlag, Wien 2003, S. 135)
Donnerstag, 13. April 1944
Ach wie ist es schwer aus den vielen Träumen zurückzukommen in dieses Hier der ewigen Zelle. Denn dort gibt es keine Gitterfenster und kein Anschreien. Dort gibt es fahrende Züge, mit denen man reisen kann, weite Landschaften voll fliegender Wolken über wehendem, silbernen Getreide. Und dort ist alles nachbarlich zu lieben und nichts ist unwiederbringlich. Ich nenne dieses Leben nicht mehr Leben sondern nur Dasein. [...]
Geduld, alter Sträfling, es kann vielleicht noch lange dauern und du musst es ertragen...
(S. 140)
Da es Erica de Behr aller Bemühungen zum Trotz nicht gelang, nach dem Krieg für Rheinhardts Tagebuch einen Verleger zu finden, händigte sie das von ihr abgetippte Typoskript Rheinhardts Ex-Ehefrau aus, die es in den 1970er-Jahren an das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes übergab.
Weitere Kapitel:

Nach seiner Verhaftung am 28. April 1943 begann für Emil Alphons Rheinhardt eine Odyssee durch die Gefängnisse von Hyères, Nizza, Menton und Les Baumettes, wo er verhört und gefoltert wurde. In Haft begann er ein Tagebuch zu führen, das seine treue Sekretärin Erica de Behr, die sich aufopfernd um ihn kümmerte, unter nie geklärten Umständen aus dem Gefängnis schmuggeln konnte. An seinem 56. Geburtstag notierte er:
Heute ist der letzte Tag meines 55jährigen Lebens, welches das allerbitterste aller meiner Jahre gewesen ist. Mit ihm verglichen, erscheinen mir jetzt alle früheren Jahre als Festzeiten – ja jedes mutet mich wie ein Jubeljahr an. Wie gut war das Leben trotz allem bis zuletzt. Erst am 28. April 1943 hat das Fest des Lebens sein Ende genommen.
(Emil Alphons Rheinhardt: Tagebuch aus den Jahren 1943/44. Geschrieben in den Gefängnissen der Gestapo in Menton, Nizza und Les Baumettes [Marseille]. Hg. von Martin Krist. Turia + Kant Verlag, Wien 2003, S. 135)
Donnerstag, 13. April 1944
Ach wie ist es schwer aus den vielen Träumen zurückzukommen in dieses Hier der ewigen Zelle. Denn dort gibt es keine Gitterfenster und kein Anschreien. Dort gibt es fahrende Züge, mit denen man reisen kann, weite Landschaften voll fliegender Wolken über wehendem, silbernen Getreide. Und dort ist alles nachbarlich zu lieben und nichts ist unwiederbringlich. Ich nenne dieses Leben nicht mehr Leben sondern nur Dasein. [...]
Geduld, alter Sträfling, es kann vielleicht noch lange dauern und du musst es ertragen...
(S. 140)
Da es Erica de Behr aller Bemühungen zum Trotz nicht gelang, nach dem Krieg für Rheinhardts Tagebuch einen Verleger zu finden, händigte sie das von ihr abgetippte Typoskript Rheinhardts Ex-Ehefrau aus, die es in den 1970er-Jahren an das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes übergab.
Kommentare
Erika von Behr nannte sich erst in Frankreich Erica de Behr. Sie war eine Schwester meiner Mutter und zwei der in Frankreich ausgestellten Nansen-Pässe sind in meinem Besitz. (Falls Ihr Archiv daran Interesse haben sollte, würde ich sie Ihnen gern überlassen, weil in meiner Familie nicht das geringste Interesse vorhanden ist und auch das Wissen fehlt.) Erika ist Rheinhardt schon nach Italien gefolgt und sie ist bis zum Schluss bei ihm geblieben, wie viele Ehefrauen und Lebensgefährtinnen auch neben Rh. aufgetaucht und wieder verschwunden sind. Gerty Wolmut (Ehefrau Rheinhardts) hat einmal über Erika gesagt: „Sie war ihm ergeben, wie selten eine Frau ergeben ist, sie ging für ihn durch Feuer und Wasser.“ Das ist vielleicht eine Erklärung. Heinke Wunderlich hat in ihrem Buch Spaziergänge an der Cote d’Azur der Literaten Erika auch ganz richtig beschrieben: „Um den Schriftsteller Emil Alphons Rheinhardt, Autor erfolgreicher Biographien, der bereits seit den zwanziger Jahren mit seiner Lebensgefährtin Erika von Behr in der Villa Les Chenes in Le Lavandou lebte …“ Es ist wenig wahrscheinlich, dass Rh. wegen einer Sekretärin (in dem Zusammenhang kam der Nansen-Pass vor) in Frankreich blieb, wo er doch wusste, wie gefährdet er war. Nicht nur, dass er in der Resistance gewesen war (wie groß dabei sein Anteil war, weiß ich nicht, aber Lavandou ehrt ihn als einen seiner Widerstandskämpfer, sicher nicht nur, weil er Gedichte geschrieben hat, wie manche Leute meinen), er hatte auch schon viel früher einen Orden abgelehnt, den ihm Mussolini wegen der „Eleonore Duse“ verleihen wollte – vermutlich mit ein Grund, warum ihn die Italiener an die Nazis auslieferten. In Meine Gefängnisse: Tagebücher 1943 – 1945 steht auf S. 188 ein Gedicht, das er Erika zu ihrem Geburtstag 1944 schrieb. Wenn man das liest, dann merkt man, dass sie nicht nur seine Sekretärin war. Ich weiß, dass auch Nico Rost immer nur von „Sekretärin“ spricht, aber – beim Vergleich zwischen den Dachauer Tagebüchern und dem Buch von Rost merkt man auch, dass Rh. Rost nicht in gleichem Maß vertraut zu haben scheint, wie umgekehrt. Allerdings irrt sich Rh. im Geburtsdatum: Erika hatte – laut den beiden Nansen-Pässen – am 28. November Geburtstag (bei so vielen „Ehefrauen“ vielleicht ein verständlicher Irrtum). Nun können Sie natürlich mit einigem Recht sagen, dass das alles ziemlich unerheblich ist. Aber was Erika um diesen Mann gelitten hat, ist mir von Kindertagen an geläufig … und ich möchte doch – um ihretwillen – sie ein bisschen „erheben“. Ich weiß nicht mehr, bei welchem Schriftsteller ich mal gelesen habe (vielleicht Feuchtwanger?) Rh. und seine Baronin … Übrigens war Erika bis zu ihrem Tod mit Gerty (Felice) Wolmut in engem brieflichen Kontakt. Die Briefe Erikas an Gerty (in frz. Sprache) befinden sich im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, dem Gerty sie überlassen hatte. Erika blieb auch in Kontakt mit Theodora Meeres, die in England verstarb und die Erika testamentarisch ein kleines Legat vermacht hatte, dass es der völlig verarmten Erika ermöglichte, Dachau zu besuchen. Bald darauf ist sie gestorben.