Lou Andreas-Salomé

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Lou Andreas-Salomé um 1900

Am 12. September 1914 schrieb Lou Andreas-Salomé aus Göttingen an Rainer Maria Rilke nach Irschenhausen:

Jeder Krieg ist ganz behängt, außer mit seinen Fahnen, mit fast allem was an großen Worten, Überzeugungen, Idealen etc. nur je vorhanden war und nur dies giebt den stürmischen jubelnden Mut; aber wie unbedenklich ist das überall aufgelesen, aus wieviel engem Denken, verstaubter Moral hervorgeholt [...].

Und ich muss sagen: dieses, dieses!, nicht die grausige Wirklichkeit, sondern das geheime Unwirkliche dran, das Gespenstische, das sich erst vampyrhaft mit Blut unserer auf Tiefes und Hohes gerichteten Gedanken vollsaugen muss, um zu wirken, um glaubhaft zu sein, um Opfer zu erlangen, – dieses entsetzt mich so stark, wie nie noch mich was entsetzte, und das macht, dass wenn mir der Mund aufginge, er doch nur beginnen könnte sinnlos zu schreien,  nicht aber mit einzustimmen in das Wort Aller.

(Lou Andreas-Salomé an Rainer Maria Rilke nach Irschenhausen, 12. September 1914. In: Rainer Maria Rilke. Lou Andreas-Salomé – Briefwechsel. Hg. v. Ernst Pfeiffer. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1989, S. 362.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl