Else Ury

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Nürnberger Hauptbahnhof einer Feldpostkarte im Jahr 1918

Else Urys zehnbändige Kinderbuchreihe über die Berliner Arzttochter Annemarie Braun, genannt Nesthäkchen ist mit mehr als 7 Millionen verkauften Exemplaren eine der erfolgreichste Mädchenbuchreihen aller Zeiten. Der erste Band erschien vor dem Ersten Weltkrieg, der letzte 1925. Während die Romane heute als Geschichten aus der guten alten Zeit gelesen werden, war Annemarie Braun zur damaligen Zeit Identifikationsfigur für Millionen junger Mädchen. Der vierte, heute nicht mehr aufgelegte Band Nesthäkchen und der Weltkrieg, spiegelt die deutsch-patriotische Gesinnung Else Urys wieder. Die kleine Annemarie gibt in diesem Band die patriotische Deutsche und brüskiert Andersdenkende und Ausländer. Allerdings macht sie dabei keine besonders gute Figur und wird ob ihrer Vorurteile mehrfach eines Besseren belehrt. Dennoch sind die nationalistischen Tendenzen des Buches samt seinen Opferbeschwörungen nicht zu leugnen. Es gibt eine Sehnsucht nach Frieden, aber nur nach einem Sieg. Der Band endet mit dem Satz:

Mögen es bald die Friedensglocken sein, die Deutschland durchjubeln – das walte Gott. Mit diesem Wunsche nehme ich Abschied von euch, meine lieben, jungen Leserinnen. Auch mancher von euch hat der Weltkrieg wohl, gleich unserm Nesthäkchen, Opfer auferlegt, kleine und größere. Aber ich bin davon durchdrungen, dass auch ihr sie freudig fürs Vaterland auf euch genommen habt. Wenn das schwere Ringen zu Ende und ein siegreicher Frieden unserer teuren Heimat beschieden ist, dann erzähle ich euch, was aus Doktors Nesthäkchen wurde.

(Else Ury: Nesthäkchen und der Weltkrieg. Nesthäkchen Gesamtausgabe. Bd. 4. Verlag Laura Huber, Kindle Edition 2014.)

Nach 1945 setzten die Alliierten das Buch, das en detail das Leben während des Krieges beschreibt, als kriegsverherrlichend auf den Index. Heute besteht die Reihe aus neun überarbeiteten, sprachlich modernisierten Bänden. Der Kriegsband wurde, zu einem Kapitel zusammengefasst, dem dritten Band angehängt.

Interessant sind auch die weiteren Veränderungen, die, dem Kalten Krieg geschuldet, an Else Urys Text vorgenommen wurden. Im Original hat Annemarie Verwandte auf Gut Arnsdorf in Schlesien, die sie während des Ersten Weltkrieges in Band 5 Nesthäkchens Backfischzeit besucht. Als sie nach der Besetzung Oberschlesiens fliehen muss, bleibt sie aufgrund eines Eisenbahnerstreiks in Sagan liegen. In den Auflagen nach 1945 liegt Gut Arnsdorf in Niederbayern – und ihre Rückreise nach Berlin endet wegen Kohlemangel in Nürnberg. Ebenso stammt Annemaries Freundin Gerda eigentlich aus Breslau und nicht, wie heute zu lesen ist, aus München.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl