Die Dachauer Bank

In den Straßen herrschte rege Betriebsamkeit. Kutschen und hoch beladene Fuhrwerke ratterten vorbei. An der Maximilianstraße mussten Thiel und Johanna einen Trupp Soldaten vorbeimarschieren lassen. Ziel ihres Aufmarsches war sicherlich die nahe gelegene Hofgartenkaserne. Zwei Offiziere hoch zu Ross, die ihren Galopp zur königlichen Reitschule ihretwegen für ein paar Minuten unterbrechen mussten, gerieten darüber in heftige Wut.

Polizeioffiziant Thiel lässt sich auf dem Weg zur Dachauer Bank von Johanna Morgenthau begleiten. In letzter Zeit gab es Unstimmigkeiten zwischen den beiden, die er hofft, aus dem Weg räumen zu können. Was an ihm nagt, ist ein gewisses Misstrauen, dass mit der Zeit immer stärker wird. Doch nach wie vor genießt er ihre Nähe. Es tut gut, mit ihr durch die Straßen zu laufen. Viel zu schnell gelangen sie an ihr Ziel, die Spitzedersche Villa, vor deren Eingang  sich wie immer eine Menschenschlange gebildet hat.

Das Trottoir war unpassierbar, auch durch die gesamte Breite der Straße war eigentlich kein Durchkommen. Unfassbar, dass man das duldete. Am anderen Ende der Schönfeldstraße, dort, wo sie die Ludwigstraße kreuzte, lagen immerhin wichtige Gebäude der königlich bayerischen Regierung. Weit und breit war jedoch kein Polizeioffiziant in blauer und noch weniger ein Gendarm in grüner Uniform auszumachen, der für Ordnung sorgte.

Johanna Morgenthau traut ihren Augen nicht. Sie kann sich nicht vorstellen, dass all diese Menschen zur Dachauer Bank wollen. Thiel weiß, dass es dort jeden Tag so geschäftig zugeht, weil der hohe Zinssatz, den Adele Spitzeder anbietet, die Menschen dazu verführt, ihre Ersparnisse bei ihr anzulegen.

Aus ein wenig Geld wollen sie mit Hilfe der Spitzeder mehr Geld machen. Bald, wenn die Ernte auf dem Land eingebracht ist, wird der Andrang noch größer werden. Dann bringen die Bauern ihr gesamtes Erntegeld und hoffen, im nächsten Jahr schon nicht mehr selbst den Finger dafür rühren zu müssen, weil sie durch die hohen Zinsen endlich reich geworden sind. Angeblich hat schon mehr als einer sogar seinen Hof oder die ganze Ernte verpfändet, nur um der Spitzeder eine große Summe Geld zu bringen.

Johanna kann nicht glauben, dass alles mit rechten Dingen zugeht, doch Thiel muss zugeben:

Zumindest mit solchen Dingen, die nicht verboten sind.

(Heidi Rehn: Tod im Englischen Garten. Emons Verlag, Köln 2007, S. 52f.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt