Der Englische Garten

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Englischer Garten mit Blick auf die Ludwigskirche. Foto: Rüdiger Rohrbach

Für Severin Thiel ist der Englische Garten ein Ort des Friedens. Besonders liebt er die frühen Morgenstunden im Grünen und findet dort die notwendige Ruhe und Entspannung als Ausgleich zu seiner Arbeit als Verbrechensbekämpfer.

Der Geruch nach frischem Laub und Tannengrün kitzelte die Nase, ein angenehm kühler Lufthauch umspielte den Kopf. Umso bedauerlicher, dass er an diesem Morgen nicht zu seinem Vergnügen in dem weitläufigen Park unterwegs war. Er befand sich bereits im Dienst und musste sich beeilen, wollte er nicht als einer der Letzten den Einsatzort erreichen. Die Arme auf dem Rücken, mit den langen Beinen weit ausholend, passierte er die Gebäude der Veterinärschule. Danach hielt er sich rechts, schlug einen der breiten Hauptwege stadteinwärts ein.

Obwohl er weiß, dass seine Anwesenheit am Schauplatz des Mordes so bald wie möglich erforderlich ist, versucht er, den Spaziergang durch den Englischen Garten so lange wie möglich zu genießen.

Geradeaus, Richtung Süden, zeichnete sich die Silhouette der Stadt in den verschiedensten Grautönen ab. Die ersten Sonnenstrahlen kletterten die Kuppel der Theatinerkirche hinauf. Die hohen Zwillingstürme der Frauenkirche blinkten bereits im frühmorgendlichen Glanz. Selbst auf die niedrigeren Dächer der angrenzenden Gebäude fiel schon das erste Sonnenlicht. Selbstbewusst ob seiner Größe schob sich von Osten das lang gestreckte Dach der Residenz als imposanter Querriegel in die Kulisse, ließ lediglich den markanten Turm des Alten Peter hoch über sich hinausragen. Über all dem lag eine Beschaulichkeit, die sämtlichen Wirren der neuen Zeit zu trotzen schien.

Widerwillig reißt er sich von dem Panorama der von ihm geliebten Stadt los. Schon von Weitem ist sein Einsatzziel zu erkennen: Am westlichen Rand der großen Wiese hat sich trotz der frühen Stunde eine weithin sichtbare Menschansammlung gebildet. Einige Gendarmen versuchen, die Schaulustigen unter Kontrolle zu behalten. Thiel kann nicht verstehen, dass sich Menschen freiwillig und aus purer Neugier mit fremden Toten beschäftigen.

(Heidi Rehn: Tod im Englischen Garten. Emons Verlag, Köln 2007, S. 14f.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt