Weinhaus Neuner

Weinhaus Edmund Neuner, Herzogspitalstraße 20, links Trinkstube. Fotografie um 1910. © Privatsammlung

Auf Einladung der von Florian Seidl und Willi Cronauer geleiteten Gesellschaft ‚Die Gegenwart‘ gibt Horváth im Gartensaal der Reitschule, Königinstraße 34 in München einen Autorenabend und liest Szenen aus Italienische Nacht und Geschichten aus dem Wiener Wald. Im Anschluß an die Lesung trifft Horváth sich mit Lukas Kristl im ‚Weinhaus Neuner‘, wo Kristl an Horváth die Frage richtet, „wieso Bühne und Film immer nur Kapitalverbrechen behandelten; die ‚kleinen Fälle‘, in deren Schlingen sich der Mensch oftmals verfängt, seien ebenso dramatisch und außerdem die Regel, also charakteristisch“. Horváth schreibt später in einer Randbemerkung zu seinem Stück: „Und Kristl erzählte mir einen Fall aus seiner Praxis – –, und aus diesem alltäglichen Fall entstand der kleine Totentanz Glaube Liebe Hoffnung“. (Horváth-Chronik, 1932)

„Eine verräucherte Münchner Weinstube, deren Schrammeltrio das unerbittliche Schicksal unserer Elisabeth mit heiteren Weisen begleitete“, nannte Wilhelm Lukas Kristl das Weinhaus Neuner.[1] Am 12. Mai 1932 schickt er Horváth den Entwurf einer Szene für sein Stück, zwei Tage später treffen sich beide in den Münchner Torggelstuben am Platzl neben dem Hofbräuhaus. Glaube Liebe Hoffnung basiert auf einem Betrugsfall aus dem Jahr 1929, über den der Gerichtsreporter Kristl unter dem Titel „Vor Gericht ist das Betrug“[2] berichtet hatte. Die konkrete Zusammenarbeit der beiden Autoren sah nach Kristl folgendermaßen aus: „Ich hatte Tatbestände und Szenen zu liefern, und Horváth schmolz das Stück in seine Form um. Da er in Murnau wohnte, nur ab und zu nach München kam, schickte ich ihm das Material meistens mit der Post.“[3]



[1] Zit. nach Lunzer, Heinz; Lunzer-Talos, Victoria; Tworek, Elisabeth (2001): Horváth, S. 102. Gemeint ist das Schicksal der Hauptfigur Elisabeth in Glaube Liebe Hoffnung, die mittellos, ohne Arbeit und völlig entkräftet am Ende Selbstmord begeht. Angespielt wird aber auch auf eine andere Person desselben Namens, die bayerische Prinzessin und spätere Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837-1898), die 1854 Kaiser Franz Josef I. heiratete und am 10. September 1898 in Genf von dem Anarchisten Luigi Luccheni ermordet wurde. Die Worte des Präparators in der Anatomie, der nach Elisabeths Namen fragt, klingen in diesem Zusammenhang wie Ironie: „Die Kaiserin Elisabeth von Österreich, das war auch ein gutes braves Weiberl – aber trotzdem ist sie halt einem ruchlosen Attentat zum Opfer gefallen.“ (Ö. v. H.: Gesammelte Werke. Bd. 6, S. 21)

[2] Abgedruckt in Ö. v. H.: Gesammelte Werke. Bd. 6, S. 134ff.

[3] Zit. nach Lunzer, Heinz; Lunzer-Talos, Victoria; Tworek, Elisabeth (2001): Horváth, S. 103.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

Verwandte Inhalte