Olaf Gulbransson über München

Vor meinem Kefernest-Paradies am Schwabinger Bach lag eine Insel, die einzige Insel in München außer der Kohleninsel. Dort brüteten gerne Enten. Sonst kam niemand hin. Zu der Zeit lebte noch der alte Prinzregent von Bayern. Er hatte am Englischen Garten beim Aumeister eine Jagd, und die halbwilden Enten gehörten dazu. Auf einem natürlichen Nest lag nun seit einiger Zeit eine Prinzregentenente und brütete und dachte, sie wäre ungeschoren. Sie lag ganz zahm und still, wenn ich vorbeiging, weil sie mich kannte. Eines schönen Tages war plötzlich ein großes Geschrei und Aufregung. Ein Fremder war auf die Insel gekommen und hatte der Ente vom Nest weg den Hals umgedreht und sie mitgenommen. Ich war froh, dass ich nicht zu Hause gewesen war, sonst hätte ich diesen Fremdling wahrscheinlich in den Bach geschmissen.

Olaf Gulbransson, Sein Leben, erzählt von Dagny Gulbransson-Björnson, 1967 (Zit. aus: Olaf Gulbransson: Sein Leben erzählt von Dagny Gulbransson-Björnson. Pfullingen 1967, S. 72)

 

Olaf Gulbransson (1873-1958), norwegischer Maler und Zeichner; Aufenthalt in München: 1902 bis 1914 und 1919 bis 1933

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek