T. S. Eliot über München

April ist der grausamste Monat, er treibt
Flieder aus toter Erde, er mischt
Erinnern und Begehren, er weckt
Dumpfe Wurzeln mit Lenzregen.
Winter hielt uns warm, bedeckte
Land mit Schnee des Vergessens, nährte
karges Leben mit trocknen Knollen.
Sommer überfiel uns, kam über den Starnberger See
Mit Regenschauer; wir rasteten im Säulengang
Und schritten weiter im Sonnenlicht in den Hofgarten,
Tranken Kaffee und plauderten eine Stunde.
Bin gar keine Russin, stamm' aus Litauen, echt deutsch.
Und als wir Kinder waren, beim Großfürsten wohnten,
Meinem Vetter, fuhr er mit mir Schlitten,
Und ich fürchtete mich. Er sagte, Marie,
Marie, halt dich fest. Und hinunter gings.
In den Bergen, da fühlst du dich frei.
Ich lese tief in die Nacht, und im Winter geh' ich in den Süden.

T.S. Eliott, The Waste Land, 1922 (Zit. aus: T.S. Eliot: The Waste Land. 1922. In: T.S. Eliot: Collected Poems 1909-1962. London, Boston 1963, S. 63)

 

T.S. Eliot (1888-1965), amerikanisch-englischer Dramatiker, Lyriker und Essayist; Aufenthalt in München: 1911

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek