Adelige und Bürger

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Der westliche Hofgarten mit einem der Gartencafés, 1959 (Monacensia München)

Das Spannungsverhältnis zwischen dem Leben des Adels rund um die Residenz und dem Alltag der Bürger rund um das Rathaus macht seit vielen Jahrhunderten den Reiz Münchens aus. Die Wittelsbacher prägten in ihrer fast 700 Jahre langen Herrschaft Baustil, Lebensgefühl und Atmosphäre der Stadt maßgeblich. Meist war das Leben am Hof ausgelassen, kulturell anspruchsvoll und weltoffen.

Die Residenz, nicht das Rathaus, bestimmte die Geschicke Münchens, der Fürst und nicht der Magistrat gewährte Freiheiten oder beschnitt Bürgerrechte. Die Münchner Bürger mussten damit leben, dass Herzöge, Kurfürsten, Könige und Machthaber ihre ausschweifenden Ideen, Ziele und Konzepte durchsetzten. Oft erweiterte das den Horizont der Bürger und stärkte ihr Selbstbewusstsein. Handwerker, Geschäftsleute und Gastronomen konnten als Hoflieferanten im Umfeld der Residenz gut leben, Künstler, Musiker und Literaten aus aller Welt konnten auf das Mäzenatentum der Wittelsbacher zählen. Deren Prachtbauten, Prachtstraßen und Plätze prägen bis heute das Bild der Stadt. Das „Isar-Athen“ König Ludwigs I. erkennen wir an antikisierenden Bauten am Königsplatz, am Hoftheater, auf der Theresienwiese und an der toskanischen Palastfassade der Staatsbibliothek.

Baumeister, Architekten, Kirchenmaler, Stuckateure holte man aus ganz Europa nach München. Das dokumentiert beispielsweise der 1690 fertig gestellte Bau der Theatiner-Hofkirche: Die aus Turin stammende Kurfürstin Henriette Adelaide wollte sich ein Stück geistige Heimat nach München holen und beauftragte italienische Architekten und Baumeister. Die Fassade wurde von Francois Cuvilliés d.Ä. gestaltet, die Kuppel und die beiden eigenwilligen Türme von Enrico Zuccalli erbaut, der die Bauleitung von Agosto Barelli übernommen hatte. Das heitere Ensemble von Hofgarten und Theatinerkirche inspirierte noch Jahrhunderte später den Schriftsteller T.S. Eliot zu großer Literatur.

Links: Theatinerkirche mit altem Schwabinger Turm von Nordwesten, 1814 (Münchner Stadtmuseum). Mitte: Außenansicht der Glyptothek von Südosten, um 1835 (Stadtarchiv München). Rechts: Akademie der Bildenden Künste, 1860/1870 (Bayerische Staatsbibliothek, Porträtsammlung).

Ein anderes Beispiel: Drei Kurfürsten und die damals bedeutendsten Baumeister Europas wirkten zusammen, damit in Nymphenburg westlich der Residenzstadt München zwischen 1664 und 1739 eine der schönsten europäischen Schlossanlagen entstand. Mit dem Nymphenburger Schlosspark entwickelte sich ein Raumkunstwerk von europäischer Bedeutung.

Die Wittelsbacher bauten München systematisch zur Stadt der Wissenschaften und Bildung aus. Herzog Albrecht und seine Frau, die österreichische Kaisertochter Anna, stifteten im März 1565 die Schatzkammer. Damit begann der Ausbau der Residenz zu einem kulturgeschichtlichen Museum. Das „Antiquarium“, das erste Museum nördlich der Alpen, wurde 1571 fertig gestellt. Wilhelm V. ließ 1582 mitten in der Stadt ein Jesuitenkolleg mit der Michaelskirche errichten. Sein Vater hatte 1559 die Jesuiten nach München geholt, als geistige Stärkung bei der Niederwerfung der protestantischen „Ketzer“.

Seit jeher gewährten die bayerischen Herzöge großen Denkern, die wegen ihrer Auffassungen verfolgt wurden, Schutz  und Sicherheit. Diese Tradition begann mit Ludwig IV. dem Bayern. Er war ein erklärter Gegner des Papstes und wurde 1328 zum römischen Kaiser gekrönt. Der Alte Hof in München war seine Machtzentrale. Papst Johann XXII. in Avignon, das Herrscherhaus Habsburg und sein eigener Bruder standen gegen ihn. Radikale Franziskaner, darunter der Arzt und Staatstheoretiker Marsilius von Padua, Ordensgeneral Michael von Jesena und der englische Philosoph und Theologe Wilhelm von Occam fanden an seinem Münchner Hof Unterschlupf. Das um 1284 bezogene Franziskanerkloster wurde ein Zentrum der Opposition gegen den Papst.

Jahrhunderte später beherbergte der bayerische Adelshof wieder einen prominenten Flüchtling. Mit 31 Jahren konnte Giacomo Casanova 1756 den Bleikammern in Venedig entrinnen und nach München fliehen, wo der Kurfürst dem gebürtigen Venezianer Aufenthaltsrecht gewährte. Gefallen hat es Casanova in München trotzdem nicht. „Ich habe in meinem Leben viele Torheiten begangen, indes beging ich wenige so große und alberne als die, nach München zu reisen“, urteilte er später.

Links: Hochzeit im Neudecker Garten, um 1730. Mitte: Am Apollotempel im Nymphenburger Park, 1785. Rechts: Vor dem Prinz-Carl-Palais, um 1830 (Münchner Stadtmuseum).

Für Einheimische und ausländische Gäste sorgte der Hof für Exotik und Volksbelustigungen. Einen Reisenden aus Venedig beeindruckten 1492 die zahmen Löwen in der Residenz. „Sie spazieren unter den Leuten umher und lassen sich von jedermann anrühren.“ In einem Tiergarten beim Alten Hof wurden Löwen, Leoparden, Luchse, Bären und andere Tiere öffentlich gezeigt.

Die bayerischen Herzöge engagierten Künstler, Musiker und Philosophen von Weltgeltung. Wahre Sternstunden erlebte die Musikstadt München, als Herzog Albrecht V. den Komponisten Orlando di Lasso an den bayerischen Hof holte. Während der fast vier Jahrzehnte andauernden Ära baute Lasso die Hofkapelle zur führenden in ganz Europa auf. Am bayerischen Hof waren nicht nur Kunst und Musik italienisch, sondern auch die Literatur. Man hielt sich italienische Komödianten und verschrieb sich Hofdichtern aus den ersten italienischen Adelshäusern.

1754 kam der 31-jährige Franz Anton Bustelli aus Locarno nach München. Der Tessiner Modelleur begründete den internationalen Ruf der Nymphenburger Porzellanmanufaktur. In den acht Jahren am Hof schuf er Meisterwerke des europäischen Rokoko, die von einzigartiger Lebensfreude und Sinnenlust zeugen. Kurfürst Ferdinand Maria ließ 1654 am Salvatorplatz in einem umgebauten ehemaligen Kornspeicher das erste Opernhaus Deutschlands errichten. Berühmte Sänger und Kastraten, wie 1724 der weltberühmte Kastrat Filippo Balatri da Pisa, wurden für die italienischen, französischen und deutschen Opern engagiert. Wolfgang Amadeus Mozart bemühte sich im September 1777 um eine Anstellung am Münchner Hof. „Ich tät' München gewiss Ehre machen“, meinte das Musikgenie bei der Audienz. Doch Kurfürst Maximilian III. Joseph erkannte seine Genialität nicht und antwortete lapidar: „Aber es ist halt keine Vakatur da.“

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek

Sekundärliteratur:

Tworek, Elisabeth (2008): „… und dazwischen ein schöner Rausch“. Dichter und Künstler aus aller Welt in München. Mit zahlreichen Farb- und Schwarzweißabbildungen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, S. 87-91.