Romantisierung Bayerns

Trotz dieser teils abwertenden Einstellungen wird das rustikale Landleben in Bayern auch stark romantisiert. Nachdem Nora und Charles von einem Sturm überrascht werden, übernachten sie bei einer Fischerfamilie und Nora muss notgedrungen die Klamotten der Tochter anziehen und die Perspektive wechselt zu Charles.

Vielleicht war er durch die zarte Hand und den weißen Arm angezogen worden, die so auffallend wenig zu dem kurzen, groben, leinenen Aermel zu passen schienen, oder die volle Gestalt, welche einem ländlichen Kostüm von den allergewöhnlichsten Stoffen so viele Grazie verlieh […]. So viel steht fest, daß er Nora in London hätte bei fünfzig Bällen und ebenso viel Dejeuners in den glänzendsten denkbaren Anzügen hätte sehen oder vierzehn Tage mit ihr in dem feinsten, beliebtesten Landhause unter demselben Dache hätte verleben können, ohne daß sie im Stande gewesen wäre, ihn zu interessieren und zu bezaubern, wie sie es an diesem Tage in dem Sturme auf dem Gebirge und in der Wohnstube der einsamen Fischerhütte gethan hatte.

(Quitt, Bd. III, S. 134)

Später besuchen Nora und Charles Holzfäller bei der Arbeit und Charles, der vom Vermögen seiner Familie lebt, kommentiert die Arbeit:

Es liegt etwas Stärkendes in dem Kampfe gegen Sturm und Schnee an einem Orte wie dieser,  – etwas Angenehmes in so vollkommen mannhafter Arbeit. Die Beschwerden und Gefahren sind nicht größer, wie die unserer Seeleute und haben den Vortheil der persönlichen Freiheit, der Thätigkeit und Bewegung. Wenn ich hier geboren und ein Bauer geworden wäre, so würde ich unzweifelhaft Förster oder Holzfäller sein.

(Quitt, Bd. IV, S. 76f.)

In diesem Kontext zeigt sich auch Tautphoeus‘ konservative Einstellung: Die Erzählinstanz wendet sich direkt an die Leser*innen und warnt sie vor den Veränderungen, die die Modernisierung der von ihr romantisierten Idylle bringen wird.

Man erlaube uns, dieses alte Fuhrwerk und die noch unverdorbenen Sitten dieser hochländischen Bauern zu zeichnen. In wenigen Jahren wird eine bereits projectirte Eisenbahn in der Entfernung von wenigen Meilen an einem abgelegenen Dorfe vorübergehen und anstatt des einzelnen englischen Anglers oder des Künstlers aus München wird sich eine Menge von Touristen vielleicht in die stillen Thäler ergießen und ebenso durch die Schönheit, wie die Neuheit der, durch die Alles durchforschende Locomotive in ihren Bereich gebrachten Gegenden dieses baierische Hochland und Tirol in eine zweite Schweiz verwandeln; – Hotels und Logirhäuser von der Größe von Kasernen werden sich auf allen Seiten erheben, – jeder Stein auf dem Wege und jede Pflanze am Berghange wird ihren Preis haben – und der Bach, der jetzt wie zu seiner Erholung leicht über die Räder der abgeschiedenen Mühle tanzt, wird in nicht langer Zeit ruhelos arbeiten müssen, um die einer Reihe von Mühlen zu drehen.

(Quitt, Bd. III, S. 200f.)

Neben dem Leben wird auch die Natur in Bayern ausführlich beschrieben und verklärt. Auch Tautphoeus‘ andere Romane enthalten bildhafte Naturbeschreibungen, doch in Quits sind sie am prominentesten (ein Resultat des Handlungsorts). Größere Wetterphänomene wie ein Sturm werden eindrucksvoll geschildert, ebenso alltägliche Ereignisse wie ein Sonnenuntergang:

Endlich verschwand die Sonne, aber die Berggipfel fuhren fort, in feurigem Lichte zu glühen, veränderten allmälig ihre Farbe und schienen auf ihren Felsenhöhen die üppigen Tinten des Abendhimmels zurückzustrahlen, an welchem das Roth in Carmoisin überging, mit dem sich das dunkelnde Blau des Firmaments mischte und verschiedene Abstufungen von Violet hervorbrachte, die ihrerseits in der neutralen Schwärze der Nacht aufgingen.

(Quitt, Bd. II, S. 155f.) 

Verfasst von: Johanna Hadyk