Luisa Francia – Anarchismus ist lebendige Freiheitsbewegung

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Foto: privat

Schriftstellerin, Künstlerin, Zauberkundige, Reisende: Geboren in Grafing bei München. Luisa Francia spricht fünf Sprachen und hat über dreißig Bücher veröffentlicht, von denen einige Bestseller wurden. Sie gibt Seminare, unterrichtet Yoga, hält Lesungen und Vorträge, die sich hauptsächlich mit Frauenkraft und Frauenweisheit beschäftigen. Sie lebt in der Nähe von München und in Portugal.

Was ist Anarchismus für dich?

Das Althergebrachte gnadenlos zu überprüfen und loszulassen, wenn es nichts taugt. Vor Autoritäten keine Angst zu haben und mutig, unkonventionell, widerstandsfähig auf dem Weg der Wahrhaftigkeit auch Anordnungen zu überspringen, die willkürlich oder falsch gegeben werden. Zu erkennen, dass die Staatsmacht auf Beamtentum basiert, das heißt: eingeschworen auf die allgemeine Linie, nur bedingt interessiert an den Interessen des so genannten Volks, abgesichert (oft genug gelangweilt) und deshalb unempfänglich für die Probleme der Menschen. Anarchismus ist für mich lebendige Freiheitsbewegung.

Wann bist du dir bewusst geworden, dass du eine Anarchistin bist?

So klar definiert habe ich das nie empfunden. Allerdings: Ich war ja in der linken Bewegung aktiv. Da gab es einen Genossen, der sagte: „Wenn wir Pech haben, müssen wir im Sozialismus 16 Stunden am Tag arbeiten.“ Ich antwortete: „So viel Pech habe ich nicht!“ „Du bist ja eine Anarchistin“, rief der Genosse. Ich verließ die Genossen, gründete mit anderen Frauen die neue Frauenbewegung in München, wir produzierten eine Schallplatte Von heute an gibts mein Programm und mir war klar, dass ich eine Anarchistin bin und dass mich nichts mehr interessiert als die Befreiung der Frauen aus den lächerlichen, demütigenden, gewalttätigen und schädlichen Fängen des Patriarchats – notfalls auch mal am Gesetz vorbei, bis das Gesetz geändert wird. Ich denke da an den Kampf für die Legalisierung der Abtreibung – da wurden wir noch bei einer Demo von der Polizei am Odeonsplatz eingekesselt – oder an den Kampf gegen Gewalt in der Familie, lange Zeit noch als Hobby des Ehemanns akzeptiert. Wir kämpften und randalierten bis das Gesetz geändert wurde, heute ist es ein Offizialdelikt.

Worin besteht dein persönlicher Anarchismus?

Mein persönlicher Anarchismus besteht darin dass ich über alles lachen kann, sogar muss, was mir schon viel Ärger eingebracht hat. Ich finde es wirksamer, grauenvolle Politiker auszulachen als sie zu bekämpfen. Bekämpfen – das kennen sie. Ausgelacht werden kennen sie eher nicht. Außerdem erwarte ich natürlich vom Patriarchat nichts – staatliche Übergriffe, Anmaßungen, Fehlentscheidungen überraschen mich nicht, weil sie systemimmanent sind. Ich glaube auch nicht an aufgesetzte Autoritäten, nur an natürliche Autoritäten. Die erkennt man daran, dass sie sich nicht aufblasen, Würde haben, andere wahrnehmen. Da mir Anerkennung, Preise, Belobigungen usw. wurscht sind, kann mich natürlich auch niemand korrumpieren. Und da ich nicht wichtig bin, hat es auch noch niemand wirklich versucht...

Wie bist du zur Anarchistin geworden?

Ich wurde in einer Familie von eigenmächtigen Frauen groß – eben nicht klein gehalten. Meine Oma Gretl, die „lustige Witwe“, zog mit ihrer Freundin Rosl um die Häuser. Meine Tante Fränzi war in den fünfziger Jahren bayerische Tischtennismeisterin. Als sie schon fast achtzig war, meldete sie sich zu einem Tischtenniswettbewerb im Ottobrunner Jugendzentrum an, spielte alle unter den Tisch und gewann den Pokal. Meine Schwester war die klügste von uns allen, und weil sie stark war, beschützte sie mich. Ich war klein, schwach und frech, hab mich in der Schule aufgelehnt und schon immer den Finger in die Wunde gelegt. Da ich früh an spiritueller Energie interessiert war, beschäftigte ich mich sehr intensiv mit der Bibel und dem Christentum, bis ich merkte, dass da was nicht stimmte. Die Leute, die sich Christen nannten, waren knallhart, wenn es um ihre Interessen ging und die so genannte christlich soziale Partei war für mich ein Haufen unfähiger, eigensüchtiger, erzkonservativer, menschenfeindlicher insbesondere frauenfeindlicher Kerle. Ich quälte meine Mutter mit Beweisen, was im Christentum alles verlogen war. Heute erkenne ich, dass ich so wild und frei und aufmüpfig nur werden konnte, weil sie selbst soviel davon lebte.

Alle Anarchistinnen erleben ja wahrscheinlich die Phase ihrer Anpassung, wenn sie sich verlieben. Ich umging die Unterwerfung, indem ich mit meinen – relativ häufig wechselnden – Partnern nicht zusammenlebte. Als ich jung war, galt eine Frau, die ihre Liebhaber häufig wechselte, als Flitscherl. Das war mir wurscht. So ist mein persönlicher Anarchismus auch eine Befreiung aus den Klischess und Regeln der „anständigen Frau“. Meine Tochter wird unter meiner unkonventionellen und aufmüpfigen Haltung wohl öfter gelitten haben. Kinder hätten ja am liebsten unauffällige Eltern, mit denen sie sich nicht schämen müssen. Allerdings wurde meine Tochter auch dank der ungewöhnlichen Kindheit die sie hatte zu einer klugen, mitfühlenden, weisen Frau, nachdem sie ihre Probleme mit mir ausgetragen hatte. Meine Erziehung bestand darin, mit ihr alles zu besprechen und sie in alles einzubeziehen, was wir unternahmen. Ich glaube nicht an das Schulsystem, hatte schon als Kind meine Probleme damit. Ich fand Summerhill super, aber meine Tochter wollte unbedingt in eine stinknormale Schule, in der sie lernen konnte mit der stinknormalen Realität umzugehen. Das akzeptierte ich, nahm sie aber oft raus, um mit ihr nach Afrika zu fahren. Ich finde es wunderbar, dass sie an einer Grundschule lehrt, Kinder liebt und mit ihnen durchaus unkonventionellen Unterricht macht.

Hattest oder hast du Vorbilder?

Louise Michel. Sie war eine französische Anarchistin, die sich durch ihre Solidarität mit den Schwächsten der Gesellschaft und auch mit Tieren unbeliebt machte. Sie wurde mal zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie zur Plünderung eines Bäckerladens aufgerufen hatte, als Menschen hungerten. Zu ihrer Beerdigung in Marseille kamen über 100.000 Menschen. Gelebte Anarchie!! Es freut mich, dass das Banksy-Schiff, das Geflüchtete aus dem Mittelmeer aufnimmt, nach Louise Michel benannt ist.

Wen würdest du heute als Anarchistin oder Anarchist bezeichnen?

Banksy wäre heutzutage so ein Anarchist, der mit heiteren und sehr klugen und facettenreichen Mitteln der Kunst, ja, der Straßenkunst, Machtübergriffe überall sichtbar macht. Carola Rackete, die bereit ist, ins Gefängnis zu gehen, wenn es darum geht, Menschen zu retten. Astrid Lindgren, die die Annahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels mit der Forderung verbunden hat, ihre als zu provokant empfundene Rede zum Thema Gewalt gegen Kinder zu halten. Sie setzte sich durch. Auf Grund dieser Rede wurde 1979 in Schweden, ein Gesetz eingeführt, das das Schlagen von Kindern verbot. Viele andere Länder folgten.

Wie passen Anarchismus und Bayern zusammen?

Achternbusch hat gesagt: „In Bayern sind 60 Prozent Anarchisten und die wählen alle die CSU“. Allerdings steht der Idee des Anarchismus bei ihm entgegen, dass er durchaus Anerkennung wollte. Der völlig absurde Kampf des früheren Ministers Zimmermann gegen Achternbuschs Film Das Gespenst hat Achternbusch doch schwer zugesetzt, anarchistisch an ihm ist allerdings, dass er weder aufgab noch sich einschüchtern ließ. Tatsächlich ist etwas Wahres dran an seinem Ausspruch „Du hast keine Chance, aber nutze sie“ aus dem Film Die Atlantikschwimmer. Das scheint mir tatsächlich ein anarchistisches bayerisches Prinzip zu sein.

Verfasst von: Gunna Wendt (Interview)

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