Die letzten Briefe der Töchter an den Vater

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Wachposten der Roten Armee am Münchner Hauptbahnhof (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)

Krumbach im Frühjahr 1919. Während sich Gustav Landauer in München nach der Ermordung von Ministerpräsident Kurt Eisner weiterhin für die Rätebewegung stark macht, harren seine drei Töchter Charlotte, Gudula und Brigitte in Krumbach aus. Seit mehreren Wochen sind auch die beiden Töchter der Witwe Else Eisner bei ihnen untergebracht.

Gudula Landauer, die zum Ende des vergangenen Jahres ihr Musikstudium in Berlin aufgegeben hat und seither bei ihren Schwestern in Krumbach lebt, schreibt am 1. April an ihren Vater: „Ich habe es immer noch nicht recht verschmerzt, daß der Unterricht bei Kestenberg für mich zu Ende ist. – Aber eigentlich ist es doch schön, daß mit der neuen Umgebung, dem neuen Lehrer viele neue Erlebnisse, eine neue Stufe meiner Entwicklung auf mich warten. Und wie schön ist dies liebe, schöne, stille Fleckchen Erde als Übergang vom Alten zum Neuen.“

Landauers Töchter vermissen ihren Vater sehr, das wird aus allen ihren Briefen ersichtlich. Zu seinem 49. Geburtstag sendet Charlotte, die Älteste, ihrem Vater einen „sehr herzlichen Kuß und Händedruck, der dir ausdrücken soll, was ich an diesem Tage für dich besonders empfinde. Mögest du weiter die Kraft zu deiner Arbeit finden und die Ernte nicht ausbleiben. Mit meiner ganzen Liebe bin ich morgen bei dir.“ Gudula schreibt: „In meinem Innern sind viel mehr Wünsche für Dich, als ich sagen kann. Du weißt wohl um den allergrößten Wunsch: daß die Erkenntnis vom wahren Leben über die Menschen komme und die Kraft, es zu gestalten. Ein Wunsch für alle ist das und deshalb um so mehr für Dich.“ In die Glückwünsche der Jüngsten mischt sich indessen ein tiefer Seufzer: „Das ist nun leider, leider der erste Geburtstag, den du nicht bei uns sein kannst. In Gedanken bist du ja ganz bei uns und hoffentlich kommst du recht bald. Dann wollen wir deinen, und auch nochmal meinen Geburtstag recht schön feiern.“

Am 7. April wird in München die Räterepublik ausgerufen. Gustav Landauer überrascht seine Kinder an seinem Geburtstag mit einem Telegramm: „Heute ist Nationalfeiertag, ich bin Volksbeauftragter für Volksaufklärung, früher Kultusminister.“

Wieder senden die Töchter Glückwünsche, jede in einem eigenen Brief. Charlotte reagiert als Erste: „Eben kam dein Telegramm mit der freudigen Nachricht. Wir freuen uns sehr mit dir und wünschen weiter gutes Gelingen. Wir halten auch den Feiertag und werden zur Feier des Tages Kaffee trinken gehen.“ Am nächsten Tag schreibt Gudula: „Wie sehr wünschten wir uns, mit Dir zu sein! Aber gefreut haben wir uns tüchtig, als Dein Telegramm kam, das kannst Du Dir denken! Nun hoffe ich sehr und vertraue darauf, daß noch alles gut wird.“ Brigitte fügt in ihren Zeilen den Wunsch hinzu: „Möge Euer Werk bald ganz vollendet sein und Herrn Eisners schöne Worte: ‚Die Menschheit gesunde in schaffendem Bunde‘ recht bald in Erfüllung gehn.“

Schon einen Tag später erweist sich das „liebe, schöne, stille“ Krumbach, wie Gudula es eben noch nannte, als zunehmend unbehaglicher Ort: „Heut kam Herr Dietmayer aus Attenhausen. Er kann nirgends mehr Holz auftreiben“, schreibt Charlotte am 9. April an ihren Vater. Der Mann sei ganz aufgeregt über die Vorgänge in München und Landauers Beteiligung daran. „Da könnten die Bauern nicht mitmachen. Alles sollten sie abgeben u[nd] sie müßten Tag u[nd] Nacht arbeiten u[nd] die in der Stadt wollten nicht arbeiten u[nd] bekämen noch so viel Geld.“

Während Brigitte Landauer am 10. April mit ihren Schwestern, den beiden Eisner-Töchtern und zwei Freundinnen ihren 13. Geburtstag feiert, schickt Charlotte ihrem Vater einige Ausschnitte aus der Krumbacher Zeitung, um ihn auf die Stimmung in der ländlichen Bevölkerung aufmerksam zu machen. „In diesen Tagen soll eine Bauernbundversammlung sein. Allgemein wird gesagt, daß der Kreis Schwaben sich ablehnend verhält. Ich sende dir die Ausschnitte, damit du dir ein Bild von der hiesigen Gegend machen kannst.“

Die angekündigte Versammlung findet zwei Tage später auf dem Viehmarkt in Krumbach statt. „Es muß toll gehetzt worden sein“, schreibt Charlotte danach aufgeregt nach München, „u[nd] zwar rein persönlich: ‚Raus mit dem Landauer, dem Feigling‘, war das Grundmotiv. Die Krumbacher sollten dich nicht dulden, er hätte hier nichts zu tun. Nur zum satt essen wärest du hier. Ein Feigling wärest du, der nur unter Bewachung ginge. Und wenn binnen einiger Tage die Regierung nicht gestürzt wird, gingen sie mit Gewalt vor.“

Am 13. April wird die Münchner Räteregierung durch einen Putschversuch der Republikanischen Schutztruppe tatsächlich gewaltsam beendet. Noch am selben Tag tritt eine zweite Räteregierung unter Führung der Kommunisten an, der sich auch Landauer für wenige Tage anschließt. Am 14. April sind die Nachrichten aus München noch nicht bis zu den Töchtern durchgedrungen. Doch es klingt, als ahnte Charlotte schon etwas von der heraufziehenden Katastrophe, wenn sie in ihrem letzten erhalten gebliebenen Brief an den Vater schreibt: „Ich brauche doch nicht erst zu versichern, daß wir mit ganzer Seele zu dir stehen u[nd] nur den einen Wunsch haben, Dein, Euer Werk möge zum Wohle der Menschheit gelingen!“

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Rita Steininger

Sekundärliteratur:

Steininger, Rita (2020): Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Volk Verlag, München.

Viesel, Hansjörg (1980): Literaten an der Wand. Die Münchner Räterepublik und die Schriftsteller. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M.

Quellen:

Brigitte Landauer an Gustav Landauer, 6.4.1919, 8.4.1919.

Charlotte Landauer an Gustav Landauer, 6.4.1919, 7.4.1919, 9.4.1919, 10.4.1919, 12.4.1919, 14.4.1919.

Gudula Landauer an Gustav Landauer, 1.4.1919, 6.4.1919, 8.4.1919.

Unveröffentlichte Briefe, Privatsammlung Herbert Auer, Krumbach.