Tilman Spengler: Das Schriftstellerleben am Starnberger See

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© Katharina Kreye

Tilman Spengler, der in Heidelberg und München Sinologie, Politologie und Geschichte studiert hat und mehrere Jahre beim Max-Planck-Institut in Starnberg beschäftigt war, hat sich mittlerweile vor allem als China-Korrespondent einen Namen gemacht. Als seine Heimat begreift der für die ZEIT und GEO tätige Reisejournalist jedoch dezidiert Ambach. 1947 geboren in Oberhausen, verbrachte er bereits als Kind viel Zeit in den bayerischen Gefilden bei seinem Onkel, der ein Kinderheim in Berchtesgaden betrieb.

Der Bayerische Rundfunk hat Spengler näher zu seinem Wohnort und seiner dortigen schriftstellerischen Betätigung befragt:

BR: Sie wohnen in Ambach am Starnberger See in einem beschaulichen und wunderschönen kleinen Ort.

Spengler: Ja, außer am Wochenende ist es dort sehr beschaulich.

BR: Führen Sie denn so ein richtiges Schriftstellerleben?

Spengler: Dort leben so viele Schriftsteller, dass man quasi nicht niesen kann, ohne dabei auf irgendeinen Schriftsteller zu niesen. Ja, nun, ich weiß nicht, wie das ist. Ich führe dort ein ganz normales Leben.

BR: Führen Sie ein Schriftstellerleben, wie man sich das so gemeinhin vorstellt? Sie haben sicherlich einen Schreibtisch mit Blick auf den See, wie ich annehme.

Spengler: Ja, das tut er. Also der Schreibtisch blickt nicht auf den See, aber ich schon. [...]

BR: Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Spengler: Der ist stinknormal. Wenn es schön ist, geht man im Sommer halt schwimmen im See und beeindruckt damit die Enten und die Schwäne. Bei mir ist es so, dass ich vormittags in intellektueller Hinsicht zu nicht mehr als höchstens zur Erledigung von Korrespondenz fähig bin. Bei mir fangen die Ideen, was ich schreiben will, immer erst am späteren Nachmittag an.

BR: Wie läuft das ab? Haben Sie einen Stundenplan? Nehmen Sie sich vor, dass Sie meinetwegen ab 14.15 Uhr am Schreibtisch sitzen müssen?

Spengler: Nein, das ist eher so wie bei anderen physiologischen Bedürfnissen: Das kommt dann einfach so. Man merkt halt, wann es kommt. [...] Pro Tag schaffe ich im Schnitt an die zweieinhalb, drei Seiten Literatur.

(Dr. Tilman Spengler, Schriftsteller. Im Gespräch mit Sibylle Giel. Interview im Bayern Alpha-Forum, 8. Februar 2002.)

In Meine Gesellschaft (2001) persifliert Spengler in 62 Kurzgeschichten die (selbsternannte) gesellschaftliche Elite – sich selbst nicht ausgenommen. Es kommen auch Bewohner von Ambach vor, so beschreibt er in Kapitel 19 einen Grillabend am See:

Seit ein paar Jahren ist diese Zeremonie bei uns am Ostufer des Starnberger Sees in Mode gekommen. Dabei gilt es, die Größe des Röstapparates in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum eigenen Seegrundstück zu halten. Alles andere wäre Fisch- oder Fleischbräterei. Außerdem grillen wir, um klarzustellen, daß wir genausogut auch kochen oder kochen lassen könnten. Patrick ist auch eingeladen, Patrick Süskind, der die höchsten Auflagen des Ost- und des Westufers dieses Sees hat. Und Konrad Lorenz. Er ist damals Direktor eines unserem Küchentisch benachbarten Max-Planck-Instituts in Seewiesen, und den ihm unlängst verliehenen Nobelpreis trägt er wie ein leichtes Unterhemd [...]. Ich erwähne seine Präsenz in diesem Zusammenhang [...] zur Erklärung, warum in just dem gerade beschriebenen Moment mir kein Mensch zuhörte, als ich zu Patrick sagte: Mach doch erst mal dein Studium fertig. Schreiben kannst du dann immer noch.[...] Sie werden [...] sich nicht wundern, daß Patrick danach dem Nobelpreisträger für Medizin größere Aufmerksamkeit schenkt. Zuvor rächt er sich aber noch: Hochbegabte haben leicht Reden.

(Tilman Spengler: Meine Gesellschaft. Berlin 2001, S. 41.)

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Nastasja S. Dresler

Sekundärliteratur:

Dr. Tilman Spengler, Schriftsteller. Im Gespräch mit Sibylle Giel. Interview im Bayern Alpha-Forum, 8. Februar 2002.

Tilman Spengler im Interview: Wie ertragen Sie die feine Gesellschaft? In: Der Tagesspiegel, 4. September 2001.



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