Jean Paul und „Jean Paul“

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Titelblatt des Ersten Bands der UNSICHTBAREN LOGE (c) Bayerische Staatsbibliothek, Res/P.o.germ. 1163-1

Das Pseudonym

Fast zehn Jahre lang versucht Johann Paul Friedrich Richter, sich als Satiren-Autor einen Namen zu machen. Der Band GRÖNLÄNDISCHE PROZESSE erscheint 1783, der Band AUSWAHL AUS DES TEUFELS PAPIEREN im Jahr 1789 und unter dem Pseudonym »J. P. F. Hasus«. Doch die literarische Welt nimmt wenig Notiz von diesen Werken. Im März 1787 rät der väterliche Freund Erhard Friedrich Vogel zu Texten »ohne Perüquen«: »Schreiben Sie lieber eine juristische Deduktion, und einen philosophisch pädagogischen Roman«. Ein Verleger äußert sich ähnlich gegenüber Richter: Schluss mit den Satiren, ein Roman muss her!

Vier Jahre später ist es soweit. Am 15. März 1791 beginnt Richter mit der Niederschrift seines Debütromans DIE UNSICHTBARE LOGE (Leseprobe). Dafür wählt er ein neues - sein endgültiges - Pseudonym: »Jean Paul«. Dieser Name steht nicht nur auf dem Cover der UNSICHTBAREN LOGE, sondern auch im Text, denn der Autor inszeniert sich in seinem ersten Roman als am Geschehen beteiligter Erzähler, ja, »Biograf« und »Lebensbeschreiber« (Der erste Auftritt). Dass es sich bei »Jean Paul« um einen genuin literarischen Namen handelt, zeigt auch die Tatsache, dass Richter seine Briefe weiterhin mit dem privaten Namen »Fr. Richter« signiert. Später greift er wiederholt zu einer Mischform und unterzeichnet die Vorreden seiner Romane mit »Jean Paul Friedrich Richter«.

Strittig ist bis heute die Aussprache des Pseudonyms. Bei »Jean« - eine Ehrerweisung an den Aufklärer Jean-Jacques Rousseau - handelt es sich um die französische Version des deutschen »Johannes«, die im Fränkischen wie »Schang« klingt. Aber wie steht es mit »Paul«? Soll man den Namen deutsch aussprechen oder ebenfalls französisch, also »Pol«? Der Autor selbst macht dazu widersprüchliche Angaben. In seinem VITA-BUCH, einem Notizbuch für Ideen und Gedanken, behauptet er einmal: »Ich habe nur ¼ meines Namens übersetzt« - also nur »Johannes«. An anderer Stelle heißt es: »Statt J.P. = Pohl oder Schang oder Schang Pohl«.

Der erste Auftritt

Das Pseudonym »Jean Paul« tritt erstmals als Verfasser der Vorrede von Jean Pauls Debütroman DIE UNSICHTBARE LOGE (1793, Leseprobe) in Erscheinung. Der Prolog wurde, so heißt es darin, während einer Kutschfahrt auf den Fichtelberg geschrieben. Er endet mit der Ankunft auf dem Gipfel: »Ich trat hinaus - -«. Auch innerhalb des Romans setzt sich dieser Erzähler namens »Jean Paul« bestens in Szene. Andauernd schweift er ab; nicht selten erzählt er lieber von sich als von seiner Hauptfigur Gustav.

Im Zwölften Sektor wird der Auftritt »einer neuen Person« angekündigt: Gustavs Lehrer. Dieser ist dem Leser allerdings bestens bekannt, denn es ist – der Erzähler »Jean Paul« selbst, der nun also am Geschehen seines eigenen Romans teilnimmt. So gerät auch sein Schreibort, die Stube des Auenthaler Schulmeisters Sebastian Wutz, und dessen Geschichte in den Blick. Im Anhang des Romans findet sich die Biografie von Wutz´ Vater, das LEBEN DES VERGNÜGTEN SCHULMEISTERLEIN MARIA WUTZ IM AUENTHAL.

Als sich dem Erzähler ein Konkurrent zur Seite gesellt, der ebenfalls einen Roman über Gustav schreibt, stört ihn das nicht. Im Gegenteil: »Ich wollte, seiner käme eher als meiner in die Welt, so könnt´ ich den Leser darauf verweisen oder vielleicht einige Anekdoten daraus nehmen.« Später erkrankt der Erzähler, sodass die Sektoren immer kürzer werden und seine Schwester zwischenzeitlich die Feder übernimmt. Sie ist nicht seine einzige Ko-Autorin; auch Briefe von Anderen werden in den Roman montiert. Immer wieder versucht die Wirklichkeit, Einfluss auf das Schreiben zu nehmen: eine Figur verlangt nach ordentlicher Darstellung; eine andere benimmt sich tugendhaft, um auch im Roman tugendhaft zu erscheinen. Realität und Fiktion verwirren sich untrennbar ineinander.

Kurz vor Schluss ist »Jean Paul« mit seiner Geschichte in der Gegenwart angelangt: Er schreibt nun gleichsam 'live' nieder, was in diesem Moment geschieht. Dann endet der Roman. Eine Fortsetzung war stets geplant, gelang dem Autor jedoch nicht mehr.

[Jean Paul, DIE UNSICHTBARE LOGE, Neunter Sektor]

Nicht bloß Lügner und L´hombrespieler, sondern auch Romanenleser müssen ein gutes Gedächtnis haben, um die ersten 10 oder 12 Sektores gleichsam als Deklinationen und Konjugationen auswendig zu lernen, weil sie ohne diese nicht im Exponieren fortkommen. Bei mir steht kein Zug umsonst da; in meinem Buche und in meinem Leib hängen Stücke Milz; aber der Nutzen dieses Eingeweides wird schon noch herausgebracht. - Da ein Romanschreiber wie ein Hofmann bloß darauf hinarbeiten muß, daß er seinen Freund und Helden stürze und in geladene Gewitter führe: so bild´ ich seit einem Quartale am Himmel hie ein graues Wölkchen, das schwindet, dort eines, das zerläuft; aber wenn ich endlich alle Zellen des Horizonts unsichtbar elektrisiert habe: fass´ ich den ganzen Teufel in ein Donnerwetter zusammen - nach dem Abdruck von 14 Bogen kann der Setzer das Krachen schon hören und setzen. - - Im Grunde ist freilich kein Wort wahr; aber da andre Autoren ihre Romane gern für Lebensbeschreibungen ausgeben: so wird es mir verstattet sein, zuweilen meiner Lebensbeschreibung den Schein eines Romans anzustreichen.

Weitere Auftritte

Bereits in Jean Pauls zweitem Roman HESPERUS (1795, Leseprobe) begegnet man dem Erzähler »Jean Paul« wieder, der sich freilich erneut als Schreibender vorstellt. Der Text nimmt explizit Bezug auf das Debüt DIE UNSICHTBARE LOGE (1793, Leseprobe), da »Jean Paul« auf einer Insel namens St. Johannis »haust und spricht«, die mitten in jenem ostindischen Ozean liegt, den er in seinem Debüt DIE UNSICHTBARE LOGE erfunden hat. Während der Erstlingsroman ein Fragment blieb, endet der HESPERUS mit einer Pointe, die »Jean Paul« in den Adelsstand erhebt: Er selbst ist jener während des gesamten Romans vermisste Sohn des Fürsten Januar und darf sich nun also »Jean Paul von Januar« nennen.

Zwar ohne den adeligen Nachnamen, jedoch ausschweifend, sich einmischend und vorlaut wie bisher tritt »Jean Paul« auch im nächsten Roman QUINTUS FIXLEIN (1796) auf. Schon wieder ist es ihm zu verdanken, dass all die Geschehnisse ein glückliches Ende finden, denn »Jean Paul« kuriert den erkrankten Fixlein. Im darauffolgenden SIEBENKÄS (1796, Leseprobe) ist »Jean Paul« zwar ebenfalls präsent, aber deutlich zurückhaltender. Seine Anmerkungen finden vor allem in Vorreden und Fußnoten statt. Dennoch verstricken sich Realität und Fiktion heillos ineinander, da Protagonist Siebenkäs an einem Satirenband namens AUSWAHL AUS DES TEUFELS PAPIEREN schreibt: Dieses Werk existiert tatsächlich, geschrieben hat es allerdings Jean Paul.

Auch in den Erzählungen DER JUBELSENIOR und DAS KAMPANER TAL tritt »Jean Paul« als teils unerlässliche Figur der von ihm erzählten Handlung auf. Einen vorläufigen Höhepunkt der Selbst-Erfindung stellt die KONJEKTURALBIOGRAPHIE dar, in der sich Jean Paul das zukünftige Leben von »Jean Paul« ausmalt. Auch die folgenden großen Romane TITAN (1800-03, Leseprobe), FLEGELJAHRE (1804, Leseprobe) und DER KOMET (1820, Leseprobe) werden von einem gewissen »Jean Paul« erzählt, jedoch greift dieser längst nicht mehr so autoritär wie früher in das Geschehen ein. In den Erzählungen der späten Jahre erscheint er innerhalb der Handlung sogar vorwiegend als Randfigur.

Doppelgänger

Beinahe in jedem Roman von Jean Paul besteht Verwechslungsgefahr. In DIE UNSICHTBARE LOGE (1793, Leseprobe) schenkt der Erzähler »Jean Paul« seiner Figur Gustav ein Medaillon mit dem Bild von dessen verstorbenem Stiefbruder, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Zwischen Viktor und Flamin, dem Freundespaar im HESPERUS (1795, Leseprobe), bestehen zwar keine optischen Ähnlichkeiten, allerdings wurden sie als Kinder vertauscht.

Der Roman SIEBENKÄS (1796, Leseprobe) stellt einen Höhepunkt der jeanpaulschen Doppelgänger-Spiele dar. Die Protagonisten Firmian Stanislaus Siebenkäs und dessen bester Freund Heinrich Leibgeber sehen sich derart ähnlich, dass sie schon vor Einsetzen der Handlung die Identitäten getauscht haben. Laut Grimmschem Wörterbuch ist SIEBENKÄS der Roman, in dem das Wort »Doppel(t)gänger« erstmals in der deutschen Literatur verwendet wird. Tatsächlich fühlte sich Jean Paul verpflichtet, den Begriff zu erklären: »So heißen Leute, die sich selber sehen«, lautet die zugehörige Fußnote im SIEBENKÄS.

Im TITAN (1800, Leseprobe) begegnet man Siebenkäs und Leibgeber wieder. Unter dem Namen »Schoppe« begleitet Leibgeber den Grafen Albano, doch die Beschäftigung mit Fichtes Subjektphilosophie verwirrt ihm zunehmend den Geist; ständig fürchtet er, seinem eigenen Ich zu begegnen. Da betritt sein Doppelgänger die Szene: »Ich bin Siebenkäs, sagte das Ebenbild zärtlich und trat ganz nahe. - Ich auch, Ich gleich Ich, sagt´ er noch leise«, dann verstirbt Schoppe-Leibgeber.

In dem Roman FLEGELJAHRE (1804, Leseprobe) wird das Doppelgängertum auch lautmalerisch auf die Spitze getrieben: Nach Jahren treffen die Zwillingsbrüder Vult und Walt einander wieder und beschließen, gemeinsam einen Roman zu schreiben. Der Titel dieses Werks lautet HOPPELPOPPEL. Der eine kümmert sich um die sentimentalischen Passagen, der andere um die satirischen - womit genau jene Doppelbegabung benannt wird, die Jean Pauls Schreiben prägt.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Peter Czoik & Katrin Schuster