Demontage des Bürgertums: Gisela Elsner

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Gisela Elsner © Oliver Grajewski/Verbrecher Verlag

Gisela Elsner wurde 1937 in Nürnberg geboren. Ihre Herkunft aus einer großbürgerlichen Familie (der Vater war Direktor der Siemens-Werke) verrät eine wichtige (Negativ-)Folie für ihr literarisches Schaffen. Nach dem Studium der Philosophie, Literatur und Theaterwissenschaften in Wien schließt sie 1958 eine Ehe mit Klaus Roehler, welchen sie sowie ihr dreijähriges Kind jedoch verlässt. Ihren größten Erfolg landet sie mit ihrem mit dem Prix Formentor ausgezeichneten Debütroman Die Riesenzwerge (1964), in dem sie die bürgerliche Scheinmoral der Nachkriegsgesellschaft der restaurativen Adenauer-Ära verhandelt. Elsner wird Mitglied der DKP, begeistert sich offenkundig für die Staatsidee der DDR, bringt sich in die Gruppe 47 ein und arbeitet auch bei der Dortmunder Gruppe 61 mit. Häufige Wohnsitzwechsel durch verschiedene europäische Metropolen begleiten ihren Alltag, bis sie sich im letzten Abschnitt ihrer Schaffensphase in ihrer Schwabinger Wohnung in der Elisabethstraße isoliert. Sie leidet unter finanziellen Problemen, ein weiterer literarischer Erfolg bleibt aus, und wird schließlich von einer schweren Depression gezeichnet. 1992 begeht Elsner Suizid durch den Sprung aus dem 4. Stock des Klinikums Josephinum, in das sie nach einem Nervenzusammenbruch eingeliefert worden war.

Schockiert muss die Presse feststellen, dass die schonungslos-entlarvende Schreibart der Riesenzwerge aus der Feder einer Frau stammt: Immerhin lobt die überraschte Frankfurter Allgemeine ebenjene anlässlich ihres Romandebüts als „Virtuosin des Ekelhaften“. Die Erzählweise dieser Virtuosin weist Parallelen zum Nouveau Roman auf: Sie bricht mit der Tradition des realistischen Erzählens. Parataktische Beschreibung, Dekonstruktion der Romanfigur, Diskontinuität in Hinblick auf Charakterzeichnung, Handlungsverlauf und Ortsbeschreibung sind Merkmale dieser narrativen Neuausrichtung. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Rolle des Autors und Erzählers – entsprechend Roland Barthes' Diktum vom Tod des Autors: Der Autor tritt maximal zurück hinter die Dingwelt, kein erzählendes Subjekt zentriert mehr das Narrativ. Die Gegenwart erscheint verdinglicht, die Subjektivität in dieser versenkt, weicht einem neutralen Standpunkt und in stilistischer Hinsicht einem distanzierten, kühlen Duktus, dessen nüchterner Beschreibungscharakter keine Metaphern mehr kennt. Metaphern sind (subjektive) Geburten des Autors und damit obsolet. Die gleichrangige Beschreibung von Menschen und Dingen reflektiert das Leben in dieser entmenschlichten, technokratischen Welt. Eine lineare, kohärente Handlung braucht es nicht, da es in dieser Gesellschaftsform keine Individuen braucht, die von den gesellschaftlichen Vorstellungen abweichen. Dem Leben der Nachkriegsgesellschaft in einer statischen „verwalteten Welt“ (Adorno) entspricht das Stilmittel der Wiederholung als Stilmittel. In dieser Welt wird nichts getan außer gearbeitet und konsumiert. Gerade die detaillierte Beschreibung des Banalen macht die Inhumanität des Kleinbürgertums sichtbar, und die Perspektive des Kindes mit seinem unverstellten Blick legt das groteske Verhalten der Erwachsenen in vollem Umfang frei.

Verfasst von: Monacensia im Hildebrandhaus / Dr. Nastasja S. Dresler

Sekundärliteratur:

Cremer, Dorothe (2003): „Ihre Gebärden sind riesig, ihre Äußerungen winzig“. Zu Gisela Elsners Die Riesenzwerge. Schreibweise und soziale Realität de Adenauerzeit (Frauen in der Literaturgeschichte, 13). Herbolzheim.

Hehl, Michael Peter (2014): Ikonisierung, Kritik, Wiederentdeckung: Gisela Elsner und die Literatur der Bundesrepublik. München.