Seinerzeit und heit

Margret Hölle schreibt in „D Zeit is a treie Glugga“ (Bauernfeind et al., S. 165):

Mit schnöiweiße Houa
stöihst wieda aaf

gsetzlweis
souchst d Sprouch zamm

owa de alt
findst nemma

weit hintan Hoils oiche
untan Hirzflech is gschlofa

dou nestlts und bröits
neie Werta aas

Das Abhandenkommen der Sprache, die Suche nach ihr, ihr Altern und Veralten und schließlich ihre Erneuerung, das sind die Themen dieser Verse. Die Mundart selbst mit den Mitteln der Mundartlyrik zu thematisieren, damit ist Hölle eine große Ausnahme. Die Mundart wird auch kaum mit anderen Spielarten des Deutschen kontrastiert. Ebenso selten werden die unzähligen Varianten des Bairischen mit ihren Soziolekten thematisiert, etwa die vielen Formen des erdigen, derben Bairisch der ländlichen Gegenden mit den vornehmen Varianten der Bogenhausener Lodenmantelträger. Ich finde es überraschend, dass sich Mundartlyriker das entgehen lassen, ebenso wie die Unterschiede zwischen Stadt und Land, arm, wohlhabend und reich, Eigentümern und Lohnarbeitern, die unterschiedlichen Abstufungen formaler Bildung und, damit korrespondierend, die jeweils individuelle Ausprägung von Standesdünkel – das alles kann das Bairische wunderbar abbilden.

Auch über das Aussterben der Mundart mag kaum jemand dichten. Stattdessen herrscht eine selbstverständliche, selbstbewusste, nicht weiter hinterfragte, begründete, überhaupt kaum thematisierte Verwendung der jeweiligen Mundart-Variante vor. Diese Selbstverständlichkeit wundert mich und löst zwiespältige Gefühle in mir aus: Wärme und Trauer. Wärme, weil es mich an früher erinnert. Und Trauer – weil es mich an früher erinnert.

Verfasst von: Andreas Unger