Obrists Stickereien

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Abb. 58: Adrien Dalpayrat (1844-1910), u. Adèle Lesbros (geb. Besançon. Doubs), Bourg-la-Reine (Hauts-de-Seine). Bodenvase, H. 53,8 cm. Steinzeug, wolkig Grün über Braun scharffeuerglasiert. Am Boden sign.: Dalpayrat (geprägt). Quittenbaum Kunstauktionen, München.

Nur eine Ausstellung von zahlreichen, die Thomas Mann bei Littauer besucht haben könnte, wäre für das Jahr 1896 hervorzuheben, denn sie dokumentiert das Interesse einer Münchener Galerie, was höchst ungewöhnlich für diese Zeit und auch für die nachfolgenden Jahre sein wird, für die moderne dekorative Kunst neben Werken der modernen Malerei und Skulptur. Ende März 1896 ist der Berichterstatter der Münchner Neuesten Nachrichten angesichts von Littauers Kunstschau geradezu euphorisch:

In Littauers Kunstsalon, der neulich schon in den Obrist’schen Stickereien einer interessanten Erscheinung aus dem Gebiete der modernen Dekorationskunst Obdach gewährte, finden wir jetzt eine größere Kollektion von Glas- und Thongefäßen, französischen, amerikanischen und belgischen Arbeiten, die unlängst in Paris in des bekannten Japan-Sammlers Bing neuem Kunstsalon „L’Art Nouveau“ ausgestellt waren. Für jeden, der an der Gestaltung eines Kunststils unserer Zeit wärmeres Interesse hat, ist die Sammlung lehrreich und erfreulich. Das Bestreben, aus dem einfachsten Material durch die Erfindungen edlerer Formen in neuen Techniken reizvolle Dekorationsstücke, ja wirkliche Kunstwerke zu schaffen, sehen wir da von bestem Erfolge gekrönt.

Treffender kann die Wahrnehmung einer neuen Stilrichtung im Kunstgewerbe in der Nachfolge des Historismus kaum zum Ausdruck kommen. Der Berichterstatter listet die Namen der französischen Keramiker Jean Carriès, Alphonse Bigot und Dalpayrat & Lesbros (Abb. 58) auf, merkt sich des New Yorker Tiffanys „brillant und originell gefärbte Gläser von sehr eleganter Form“, ergötzt sich an den Vasen und Flaschen aus rotüberfangenem, geätztem und emailliertem Glas von Emile Gallé in Nancy, bewundert Steingut-Arbeiten von Emile Grasset und eine Büste von Pierre Fix-Masseau, um dann auf „ein kleines Pastell von Degas“ hinzuweisen, einen Maler, „der unseres Wissens hier noch nie in einer Ausstellung vertreten war“. Sie stellte eine „ruhende Balleteuse“ dar [41]. Als Bewunderer der modernen französischen Malerei lag Littauer in München ganz vorne.

Dieser kurze Überblick reicht nur bis 1896 – Peter Behrens mit seinen Farbholzschnitten und eine große Ausstellung über modernes französisches und anderes Kunstgewerbe mit Namen wie Gallé, Delaherche, Bigot, Tiffany und Clutha sollten 1898 folgen. Die Ausstellungstätigkeit von Jakob Littauer zeigt ganz deutlich, dass der Kunst-Salon anhand seiner Begeisterung für die moderne Kunst und für die Erzeugnisse der kunstgewerblichen Reformbewegung im In- und Ausland zu den führenden europäischen Galerien seiner Zeit gehörte: Anderthalb Jahre vor der Einrichtung einer neuen Abteilung „Kleinkunst“ innerhalb der VII. Internationalen Kunstausstellung München im Kgl. Glaspalast 1897 – die traditionell als „Wiege“ des Jugendstils in Deutschland gilt – und fast zwei Jahre vor der anschließenden Gründung der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk in München hatte Littauer in Zusammenarbeit mit Siegfried Bing in Paris die besten japanischen Farbholzschnitte und die schönsten Objekte aus den Bereichen der modernsten Keramik und Glas gezeigt. Die Ausstellung der Obrist’schen Stickereien bei Littauer im Jahre 1896 ist die allererste, die dem werdenden Jugendstil zuzurechnen ist. Nicht nur geschäftlich stand Littauer ganz vorne, gesellschaftlich gehörte er auch zu der Elite der Münchener Geschäftswelt. So heißt es schon 1893 in den Münchner Neuesten Nachrichten, anlässlich Littauers Ausstellung über die deutschen Aquarellisten, dass sie „am letzten Samstag auch von Prinzessin Therese, Prinz und Prinzessin Arnulf, Prinz und Prinzessin Alfons und Prinzessin Klara besucht“ wurde [42]. Am 24. Juli 1896 berichtet die Münchner Neueste Nachrichten, dass der Kunstsalon Littauer das Porträt von Prinz Ludwig von M. Wimmer“ ausgestellt habe [43].

Als unbestritten führende Kunstgalerie in München, die hoch in der Gunst des Hauses Wittelsbach stand, wäre es kaum vernünftig und kaum nachvollziehbar für einen jungen, unbekannten Autor wie Thomas Mann, der seinen Weg in München noch suchen musste, das leuchtende Vorbild für das Schönheitsgeschäft von M. Blüthenzweig in parodistischer oder sonst literarisch despektierlicher Weise in einer Novelle zu desavouieren. Es handelte sich schon gar nicht um ein Geschäft, wie von Thomas Raff behauptet worden ist, in dem „es nur Graphik, Photographien und ähnliches“ gab [44]. Es ist nun eine erstaunliche Erkenntnis, dass der Kunst-Salon von J. Littauer in keiner einzigen Publikation zur Geschichte des Kunsthandels in München, noch in keiner einzigen Publikation zur Geschichte des Jugendstils vorkommt, mit Ausnahme von einer kursorischen Erwähnung als Standort, wenn es um die Ausstellung der Stickereien von Hermann Obrist im Jahre 1896 geht. Diese unverständliche Ignorierung kommt einem schweren und andauernden Affront gegen die Person und Wirkung dieses begnadeten und aufgeschlossenen jüdischen Kunsthändlers gleich. Für die Entwicklung und Vermarktung des Jugendstils in München sowie des Münchner Jugendstils war Jakob Littauer bahnbrechend, seine Verbindung zu Bing in Paris von der allerhöchsten Bedeutung. Hier steht der Forschung eine lohnende und längst überfällige Aufgabe ins Haus [45].

 

[41] MNN, No. 148, Samstag 28. März 1896, S. 2.

[42] Ebda., MNN, 2. Mai 1893, S. 1.

[43] MNN, Freitag 24. Juli 1896.

[44] S. Anmerkung 24.

[45] Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von Edda Bruckner, Der Kunstsalon J. Littauer / Theodor Heller vorm. J. Littauer – Eine Königlich Bayerische Buch- und Kunsthandlung als Wegbereiter der Moderne in München“. https://municharttogo.zikg.eu/items/show/99.

Verfasst von: Graham Dry