Titel und Widmung
Die Novelle beschäftigt sich ganz offensichtlich mit der modernen Stadt München und der Renaissance-Stadt Florenz. Gladius Dei, der Titel der Novelle, bezieht sich sprachlich gleich am Anfang auf die Gestalt des Bußpredigers und Kirchenreformators Girolamo Savonarola (Ferrara 1452-1498 Florenz), Prior von San Marco in Florenz, der in der Nacht zum 5. April 1492 während eines über Florenz tobenden Gewitters angeblich die Vision eines am Himmel stehenden Schwertes hatte, die er zum Thema seiner nächsten Predigt machte: Überliefert sind die darin vorkommenden Worte: „Ecce gladius Domini super terram, cito et velociter!“ [2] Thomas Manns Titel – mit dem unrichtigen Dei anstelle vom historisch überlieferten Domini – ist ein erster Beleg seines verschiebenden und verschleiernden Stils, dem viele in der Novelle nachfolgen werden, und der angelegt ist, auf die von ihm benutzten Quellen, in diesem Fall den irrenden Historiker von Florenz, Pasquale Villari, hinzuweisen und vom Wahrheitsgehalt des Zitats gleichzeitig abzulenken. Der Titel der Novelle ist nach Manns Quelle Villari richtig, aber nach den korrekten historischen Quellen ein Falschzitat. Es fängt also mit einer Irreführung an. Nach dem ‚falschen‘ Titel folgt gleich die Widmung: „To M. S. in remembrance of our days in Florence“. Man ist weiterhin in Florenz, allerdings in der modernen Zeit. Die Buchstaben M. S. beziehen sich auf eine Engländerin Mary Smith, auch als „Molly“ bekannt, die der Autor zusammen mit ihrer Schwester Edith nach seiner Ankunft in Florenz in der Pensione Fondini in der Via Cavour 11, 2. Stock, ab dem 25. April 1901 kennengelernt hat. „Ein zärtliches Verhältnis entwickelte sich, von dessen ehelicher Befestigung zwischen uns die Rede war“, schrieb Mann später: Aus der Beziehung wurde am Ende relativ schnell nichts. [3]
Gleich nach der Widmung an M. S. in Erinnerung an gemeinsame Tagen in Florenz befinden wir uns wieder in München, dem anfangs scheinbar einzigen Schauplatz der Novelle, und der Text fängt mit dem später berühmt gewordenen Paukenschlag „München leuchtete“ an. Der plötzlich einsetzende, sehr positive Lichtglanz steht in Kontrast zu dem vorhergehenden englischen Wort „remembrance“, das in der Widmung benutzt wird: Es ist ein dunkles Wort, das im Allgemeinen nur in Verbindung mit rückblickender Trauer für Verstorbene Verwendung findet – etwas ist zu Ende gegangen, ein Grab ist aufgehoben worden, das Vergessen droht: Hätte Mann das üblichere, unverfängliche Wort „memory“ benutzt, würde der Eindruck entstehen können, die Freundschaft bzw. heftige Zuneigung zu M. S. bestünde noch lebendig weiter, es sei alles beim Alten. Die zu Ehren von „M. S.“ in ihrer Heimatsprache verfasste Widmung deutet jedoch sprachlich auf das Ende einer Beziehung: Es ist vorbei.
[2] Pasquale Villari. La storia di Girolamo Savonarola e de' suoi tempi. Con l'aiuto di nuovi documenti. Le Monnier, Firenze 1898: Villari hat irrtümlicherweise ‚Dei‘, statt ‚Domini‘ übernommen, Thomas Mann hat vermutlich bewusst Villaris Fehler aufgegriffen.
[3] Zit. nach Paul Whitehead. ‚I really do think the English ideas are best‘ – Acht Briefe von Edith Smith an Heinrich Mann, 1901-1904, in: Heinrich Mann-Jahrbuch, Lübeck, 35/2017, S. 126f.
Weitere Kapitel:
Die Novelle beschäftigt sich ganz offensichtlich mit der modernen Stadt München und der Renaissance-Stadt Florenz. Gladius Dei, der Titel der Novelle, bezieht sich sprachlich gleich am Anfang auf die Gestalt des Bußpredigers und Kirchenreformators Girolamo Savonarola (Ferrara 1452-1498 Florenz), Prior von San Marco in Florenz, der in der Nacht zum 5. April 1492 während eines über Florenz tobenden Gewitters angeblich die Vision eines am Himmel stehenden Schwertes hatte, die er zum Thema seiner nächsten Predigt machte: Überliefert sind die darin vorkommenden Worte: „Ecce gladius Domini super terram, cito et velociter!“ [2] Thomas Manns Titel – mit dem unrichtigen Dei anstelle vom historisch überlieferten Domini – ist ein erster Beleg seines verschiebenden und verschleiernden Stils, dem viele in der Novelle nachfolgen werden, und der angelegt ist, auf die von ihm benutzten Quellen, in diesem Fall den irrenden Historiker von Florenz, Pasquale Villari, hinzuweisen und vom Wahrheitsgehalt des Zitats gleichzeitig abzulenken. Der Titel der Novelle ist nach Manns Quelle Villari richtig, aber nach den korrekten historischen Quellen ein Falschzitat. Es fängt also mit einer Irreführung an. Nach dem ‚falschen‘ Titel folgt gleich die Widmung: „To M. S. in remembrance of our days in Florence“. Man ist weiterhin in Florenz, allerdings in der modernen Zeit. Die Buchstaben M. S. beziehen sich auf eine Engländerin Mary Smith, auch als „Molly“ bekannt, die der Autor zusammen mit ihrer Schwester Edith nach seiner Ankunft in Florenz in der Pensione Fondini in der Via Cavour 11, 2. Stock, ab dem 25. April 1901 kennengelernt hat. „Ein zärtliches Verhältnis entwickelte sich, von dessen ehelicher Befestigung zwischen uns die Rede war“, schrieb Mann später: Aus der Beziehung wurde am Ende relativ schnell nichts. [3]
Gleich nach der Widmung an M. S. in Erinnerung an gemeinsame Tagen in Florenz befinden wir uns wieder in München, dem anfangs scheinbar einzigen Schauplatz der Novelle, und der Text fängt mit dem später berühmt gewordenen Paukenschlag „München leuchtete“ an. Der plötzlich einsetzende, sehr positive Lichtglanz steht in Kontrast zu dem vorhergehenden englischen Wort „remembrance“, das in der Widmung benutzt wird: Es ist ein dunkles Wort, das im Allgemeinen nur in Verbindung mit rückblickender Trauer für Verstorbene Verwendung findet – etwas ist zu Ende gegangen, ein Grab ist aufgehoben worden, das Vergessen droht: Hätte Mann das üblichere, unverfängliche Wort „memory“ benutzt, würde der Eindruck entstehen können, die Freundschaft bzw. heftige Zuneigung zu M. S. bestünde noch lebendig weiter, es sei alles beim Alten. Die zu Ehren von „M. S.“ in ihrer Heimatsprache verfasste Widmung deutet jedoch sprachlich auf das Ende einer Beziehung: Es ist vorbei.
[2] Pasquale Villari. La storia di Girolamo Savonarola e de' suoi tempi. Con l'aiuto di nuovi documenti. Le Monnier, Firenze 1898: Villari hat irrtümlicherweise ‚Dei‘, statt ‚Domini‘ übernommen, Thomas Mann hat vermutlich bewusst Villaris Fehler aufgegriffen.
[3] Zit. nach Paul Whitehead. ‚I really do think the English ideas are best‘ – Acht Briefe von Edith Smith an Heinrich Mann, 1901-1904, in: Heinrich Mann-Jahrbuch, Lübeck, 35/2017, S. 126f.
