Christian Morgenstern: Galgenlieder, 1905

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Cover der Erstausgabe der Bayerischen Staatsbibliothek, Umschlagzeichnung von Karl Walser

Christian Morgenstern: Galgenlieder. Verlag Bruno Cassirer, Berlin 1905.

Standortsignatur: L.sel.I 2930

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Acht junge Männer treffen sich in Kneipen, um einander skurrile Gedichte vorzutragen und heitere bis gruselige Rituale zu zelebrieren. Die Männer sprechen sich dabei mit Namen wie „Schuhu“, „Gurgeljochem“, „Verreckerle“ und „Rabenaas“ an. Sie gehören zum „Bund der Galgenbrüder“, Christian Morgensterns Freundeskreis. Wenn es dem Wirt zu bunt wird und er die „Galgenbrüder“ hinauswirft, geht es „mit zwei Taxametern in ein anderes Lokal“ (E. Kretschmer 1989, S. 77). Aus diesen Treffen entstehen die Galgenlieder, benannt nach dem Galgenberg in Werder an der Havel. Die teilweise für den Liedvortrag geschriebenen Gedichte haben auch später Musiker und Vortragende in ihren Bann gezogen. So sind zum Beispiel die von Friedrich Gulda vertonten Galgenlieder ebenso wie die verschiedenen Aufnahmen der gesprochenen Gedichte eine Hörprobe wert.

Morgenstern wird 1871 in einer Landschaftsmalerfamilie in München geboren. Im Sommer reist die Familie in die Berge oder an die Seen im Münchner Umland. Als die tuberkulosekranke Mutter stirbt, kommt der neunjährige Sohn zunächst nach Breslau zu seinem Patenonkel und dann in ein Landshuter Internat. Im Laufe seines in Breslau begonnenen Jurastudiums zieht Morgenstern erneut nach München. Dann wechselt er zu Kunstgeschichte und Archäologie nach Berlin. In den folgenden Jahren arbeitet er als Schriftsteller, Journalist, Lektor und Übersetzer. Er reist viel in Europa umher und lebt zeitweise in Norwegen, Italien, Deutschland und der Schweiz. „Man verhotellt zuletzt rettungslos. Denn wo kein Hotel ist, da ist kein Platz für dich mit deinem Rohrplattenkoffer und deiner schriftdeutschen Sprache“ (E. Kretschmer 1989, S. 12). Da Morgenstern wie seine Mutter an Tuberkulose leidet, muss er sich immer wieder Kur- und Sanatoriumsaufenthalten unterziehen. Er stirbt 1914 mit nur 42 Jahren in Meran.

Beim Berliner Publikum des Kabaretts „Überbrettl“ kommen seine Galgenlieder gut an. Dies ermuntert Morgenstern, sie 1905 bei Bruno Cassirer in Buchform herauszubringen. Heute begründen sie seinen literarischen Ruhm. Die zeitgenössischen Kritiker jedoch reagieren verhalten bis negativ. Als „Katerlieder“, „Lallen des Deliriums“ werden sie beschimpft (A. Wilson 2003, S. 33). Die innovativen, humoristisch verkleideten Gedichte wirken irritierend.

„Dem Kind im Manne“ stellt Morgenstern den Galgenliedern als Motto voran. Außerdem leiten die pseudowissenschaftlichen Interpretationen eines fiktiven Gelehrten namens Jeremias Müller, Lic. Dr., das Werk ein. Die kindhaft anmutenden Sprachspielereien sind jedoch hochartifiziell und kunstvoll arrangiert. Sie kulminieren in dem Gedicht „Fisches Nachtgesang“, das nur noch aus einem Fischsymbol und den Zeichen für Hebungen und Senkungen besteht. Bei den Motiven dominieren die Einsamkeit, die Nacht und der Mond. Assoziativ verbinden sich „Tulemond“ [tout le monde] und [die Speisestärke] „Mondamin“ mit dem Mond. Vermenschlichte Tiere, personifizierte Dinge und Abstrakta geistern durch die Gedichte: „Zwei Trichter wandeln durch die Nacht“; ein Eselspaar sinniert über seine Dummheit. Doch hinter dem skurril-verspielten Gestus warten die Gedichte mit tiefsinnigen Überraschungen auf.

Die App Deutsche Klassiker in Erstausgaben kann kostenlos im Apple App Store hier heruntergeladen werden.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Birgit Ziegler-Stryczek

Sekundärliteratur:

Ceynowa, Klaus; Gilcher, Birgit; Ziegler-Stryczek, Birgit (2016): Erstausgaben im digitalen Gewand. Die App „Deutsche Klassiker“ der Bayerischen Staatsbibliothek, in: Bibliotheksmagazin. Mitteilungen aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München 1, S. 12-17.

Kretschmer, Ernst (1983): Die Welt der Galgenlieder Christian Morgensterns und der viktorianische Nonsense. De Gruyter, Berlin u.a.

Ders. (1989): Christian Morgenstern. Ein Wanderleben in Text und Bild. Quadriga Verlag, Weinheim u.a.

Schimmang, Jochen (2013): Christian Morgenstern. Eine Biografie. Residenz-Verlag, Sankt Pölten u.a.

Wilson, Anthony T. (2003): Über die Galgenlieder Christian Morgensterns. Königshausen & Neumann, Würzburg.

 

Weiterführende Links:

Youtube-Video zur App

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Christian Morgenstern 1906
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