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Hassliebe zum Trinken und zu Franken: Ludwig Fels’ nachgelassenes Selbstporträt „Ein Sonntag mit mir und Bier“

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© Jung und Jung Verlag

2021 starb überraschend der Dichter Ludwig Fels. Nun hat der Verlag Jung & Jung aus dem Nachlass Fels‘ Selbstporträt Ein Sonntag mit mir und Bier (2025) herausgegeben. Katrin Hillgruber hat das Buch für das Literaturportal Bayern gelesen. Nebenbei stellt sie den ins Wiener „Exil“ gegangenen Franken mit seinem übrigen Werk hier vor.

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Mit Sonntagen hatte Ludwig Fels beziehungsweise sein lyrisches Ich schon immer Probleme. 1973 debütierte der gebürtige Treuchtlinger mit dem Gedichtband Anläufe. Im Eingangspoem „Binsenweisheiten“ stellt sich der Autor folgendermaßen vor: „Ich bin der L.F. … bin ledig und Arbeiter und / in der Mitte / zwischen arm und am ärmsten.“ In der zweiten Strophe folgt das Bekenntnis: „Ich bin Kettenraucher / und Quartalssäufer / und trage die Kleider von Leuten / die mir nicht passen / und töte die Sonntage / mit Schlaf.“ Das Dilemma des siebten und freiesten Wochentages kennen alle Werktätigen: Das Wochenende ist viel zu schnell vorbei, und je schöner und erholsamer der Sonntag sein soll, desto weniger erfüllt er diese Ansprüche. Bietet es sich da nicht an, gleich am Sonntagmorgen für unbestimmte Zeit einen österreichischen Gastgarten, bayerischen Biergarten oder fränkischen Bierkeller aufzusuchen? Die Bayerische Biergarten-Verordnung jedenfalls sichert jedem Betreiber eine Ausschankzeit von 7 bis 23 Uhr zu.

Diese geradezu aristotelische Einheit von Zeit und Ort – ein Sonntag im Biergarten – wählt der Schriftsteller und Bierliebhaber namens Ludwig Fels, um sich von einem Fernsehteam filmen zu lassen. Das ist die Ausgangslage des Textes, der aus dem Jahr 2018 datiert. Nun hat ihn Fels‘ Salzburger Hausverlag Jung & Jung in Zusammenarbeit mit seiner Witwe Rosa herausgebracht. Am 11. Januar 2021 starb Ludwig Fels überraschend in seiner Wahlheimat Wien, wohin er und seine Frau knapp vierzig Jahre zuvor aus Nürnberg gezogen waren.

Im stillen Pandemie-Frühling 2020 nahm Ludwig Fels in seiner Wohnung hoch über der Wiener Blindengasse vor einem figürlichen Ölbild in kräftigen Farben Platz, das ihm eine befreundete Künstlerin geschenkt hatte. Fels‘ mächtiger Statur war anzusehen, dass er seit seiner Jugend hart gearbeitet hatte – unter anderem als Maler und Packer. Eine urtümliche Kraft, eine Art sturer Stolz oder stolze Sturheit, kennzeichnet ebenso Fels‘ umfangreiches literarisches Werk, darunter der von dem iranischen Ausnahmeregisseur Sohrab Shahid Saless verfilmte Roman Rosen für Afrika, eine tragische Liebesgeschichte zwischen einem Arbeiter und einer „Bürgerlichen“. Saless verband mit Fels die Gabe, Gefühle wie Wut, Sehnsucht und Schmerz so intensiv miteinander zu vermengen, bis am Schluss ein kunstvolles trauriges Skandalon herauskam. Für die ZDF-Zuschauer bedeutete das an Pfingsten 1992 drei sperrige Sternstunden, ausgedehnte, kaum erträgliche Blicke auf Außenseiter, wie sie die heutigen Fernsehverantwortlichen ihrem Publikum nicht mehr zumuten wollen. Sohrab Shahid Saless hatte zuvor bereits Ludwig Fels‘ großen Erfolg Ein Unding der Liebe verfilmen wollen, wurde dann aber krank, so dass Radu Gabrea die Regiearbeit beendete.

Zuletzt veröffentlichte Ludwig Fels die Romane Die Hottentottenwerft (2015) und Mondbeben (2020). In diesem ebenso poetischen wie erschütternden Werk geht es um ein emotional versehrtes Paar, das in der Südsee das Glück sucht und dabei die bösen bis verheerenden Vorzeichen nicht sehen will.

2023 initiierte Ludwig Fels‘ Lektor Günther Eisenhuber die postume Gedichtsammlung Mit mir hast du keine Chance, ein Best-of aus 45 Jahren, für das der Regisseur Oskar Roehler ein einfühlsames Vorwort beisteuerte. Als Sohn des Luchterhand-Lektors Klaus Roehler lernte er „den Ludwig“ Anfang der siebziger Jahre in Treuchtlingen kennen. Von Anfang an habe er gespürt, dass Fels‘ Gedichte „echt“ seien, so Oskar Roehler. Sie handelten „von der Gewalt, vom Alkohol, von der Liebe, die unter diesen Umständen nicht gelebt werden kann – aber vielleicht anders. Ludwig Fels entwirft Utopien, träumt sich weg … Manchmal genügt ein Witz, eine Pointe, um über dem Elend zu stehen, es zu verspotten, sich darüber lustig zu machen. Eine Situation umzudrehen. Das nennt man Dialektik.“

Die eigenartige Schönheit und Feierlichkeit von Ludwig Fels’ Prosa und Lyrik schließe jede Beliebigkeit aus, befand 2004 die Jury des Wolfgang-Koeppen-Preises. Bei der Begegnung in Wien vor fünf Jahren bekannte sich Fels dazu, stets die Perspektive der Verlierer einzunehmen: „So wird es mir nachgesagt. Aber ich mache es nicht wissentlich und nicht willentlich. Ich habe einfach ein gewisses Spektrum zur Verfügung, das ich abdecken kann mit dem, was ich schreibe. Wenn es dann solche Themen sind, schrecke ich davor nicht zurück, sondern lasse mich darauf ein. Das macht mich ein bisschen unbequem als Autor, manche haben sogar Angst vor mir und meinen Büchern. Aber ich kann nicht anders.“

Hilfsarbeiterhilfsschriftsteller

Auch der Dichter im Schatten der Kastanien erweist sich für seine wechselnden Gesprächspartner als zunehmend unberechenbar, parallel zum steigenden Alkoholpegel. Zunächst hält sich der Porträtierte noch an die Anweisungen des Regisseurs und stellt sich manierlich vor: „Wie Sie sich denken können, ich heiße L.F. und bin Vrange! Nach einer Weltreise durch die Arbeitswelt bin ich in diesem Biergarten gelandet. Ich lebe hier und trinke Bier!“

Der vermeintliche „Arbeiterdichter“ ironisiert diesen ihm verhassten Begriff durch eine wenig glamouröse Homestory: „Mein Gewerbegebiet liegt in einer Kammer zwischen Bad und Klo, und die Eckpfeiler meines Daseins sind Kühlschrank und Waschmaschine.“ In Wahrheit sei er „Hilfsarbeiterhilfsschriftsteller mit Schreibmaschinenkunstgewerbeabschlußdiplom, also jemand, der in der Vorstellung der Bildungsarbeiter mit hochgekrempelten Ärmeln bis zum Ellenbogen im Klorohr steckt und die Musen dirigiert wie einen wildgewordenen Nixenschwarm“.

Seine Kraft zum Schreiben beziehe er von „Preßsack, paniert und frittiert“, lässt der Dichter das Publikum wissen. Teilweise arg brachial kalauert sich das monologische Werk dahin und steigert sich zu einer Apotheose des Trinkens. Doch es gibt auch erdende Elemente, etwa als ein Steuerfahnder und Gerichtsvollzieher auftritt, der den Autor wegen eines angeblich nicht versteuerten Gedichts belangt. Dieser sieht sich selbstredend lieber in Stockholm, wo „aus mir Hilfsarbeiterhilfsschriftsteller der erste fränkische Nobelpreisträger für Literatur wird, daß ich – vrake nichd! –, einen maßgeschneiderten Vragg trage und, dazu passend, eine Schärpe aus schwarzgeräuchterten Bratwürsten, wenn ich dann broledarisch in der Zwangsjacke meines Dialekts parliere.“

Die Hassliebe zum Trinken und zur fränkischen Heimat grundieren das Buch. Dann jedoch weitet es sich inhaltlich und greift tief in die Jahrhunderte aus. Für Ludwig Fels typische Themen und Motive wie das Verhältnis zwischen sogenannter Erster und Dritter Welt oder die Sehnsucht nach der Fremde werden gestreift. Der Taxifahrer, der den Protagonisten schließlich aus der Situation erlöst, heißt nicht zufällig „Afrika“. Im Kinde schwirren die Ahnen, betitelte Urs Allemann einen seiner experimentellen Gedichtbände. Dem vaterlos aufgewachsenen Dichter geht es ähnlich, als er im Rausch seinen längst verstorbenen Onkeln Karl und „Luttwich“ begegnet. Der eine, ein leidenschaftlicher Tänzer, wurde mit 19 durch eine Mittelohrenzündung aus dem Leben gerissen, der andere erinnert sich detailliert an die Bombardierung Kassels im Zweiten Weltkrieg. Doch die biografische Rückschau des Erzählers reicht noch weiter, bis hin zum großen Bayreuther Fabulierer Jean Paul, mit dem er sich eine Bierkutsche ausfahren sieht.

So sacht wie bierselig hebt der Text von einer Gegenwart ab, in der „alle in ihre Mobiltelefone [starren], reglos, als befänden sie sich wie festgeschnallt in rasender Fahrt durch eine Geisterbahn“. Die übrigen Biergarten-Gäste wappneten sich durch Kopfhörer gegen Gespräche und zückten kein Buch mehr, beobachtet der Dichter: „Sie haben Angst, sich zu betrinken, und sie haben Angst, etwas zu empfinden, das sie nicht verstehen.“ Schlechte Zeiten also für eine Revolution, wie sie sich der junge Ludwig Fels trotz aller Skepsis in seinen Gedichten gewünscht hatte – damals in Treuchtlingen, wo es mittlerweile eine Gesellschaft gibt, die sein Andenken pflegt. In dem programmatischen Gedicht „Binsenweisheiten“ bezeichnet sich „der L.F.“ als „Kleinstadtmonster und / eine Religion für mich“. Und jetzt hat er unversehens auch noch den Sonntag besiegt.

Ludwig Fels: Ein Sonntag mit mir und Bier. Selbstporträt im Gastgarten. Jung & Jung Verlag 2025, 124 S., ISBN 978-3-99027-414-9