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27.12.2012, 18:47 Uhr
Joachim Schultz
Oskar Panizza-Reihe
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Oskar Panizza schuf mit der satirisch-grotesken Himmelstragödie "Das Liebeskonzil" (1894) den Anlass für einen der skandalösesten Blasphemieprozesse der deutschen Literaturgeschichte. Seit Oktober 2012 liest Joachim Schultz wöchentlich Werke von Oskar Panizza und begleitet ihn auf seinen Lebensstationen.

Panizza-Blog [13]: Eine Spottschrift gegen die Kirche und ein noch dunkleres Kapitel

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Pius IX. (1792-1878), Gemälde von George Peter Alexander Healy (1871). Während seines Pontifikats (1846-1878) wurden die beiden Dogmen verkündet; er wurde 2000 von Johannes Paul II. selig gesprochen.

Der amerikanische Germanist Peter D. G. Brown schreibt in seiner Panizza-Monographie Oskar Panizza. His Life and Works (1983, S. 31), Panizza habe mit diesem Buch den Weg eines militanten Anti-Katholizismus, der ihn zwei Jahre später hinter Gittern bringen sollte, betreten. Welches Buch ist gemeint? Was war geschehen? 1854, ein Jahr nach Panizzas Geburt, verkündete die Katholische Kirche das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis und 1870 das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. Diese Dogmen sorgten für einige Aufregung, auch innerhalb der Katholischen Kirche. Letztlich haben sich deswegen die Altkatholiken von Rom losgesagt. Panizza, der seit seiner zwischen den Konfessionen stehenden Kindheit und Jugend auf die Katholische Kirche nicht gut zu sprechen war, veröffentlicht 1983 eine Spottschrift gegen die Kirche (und dieses Buch meint Brown) mit dem barocken Titel Die Unbefleckte Empfängnis der Päpste. Von Bruder Martin O. S. B. Aus dem Spanischen von Oskar Panizza. Darin heißt es zwar: „Wem an seinem Seelenheil liegt, der muss den katholischen Glauben unverbrüchlich und unwiderruflich so glauben, wie er hier gelehrt worden ist.“ Doch die Zensoren sind nicht dumm. Sie erkennen, dass Panizza nur scheinbar die Position der Kirche einnimmt, dass es sich hier um ein Pamphlet gegen die Kirche handelt. Das Buch wird verboten und beschlagnahmt. Doch Panizza lässt sich nicht mundtot machen. Ein Jahr später erscheint ein weiteres Buch von ihm zu diesen Themen: Der deutsche Michel und der römische Papst. Altes und Neues aus dem Kampfe des Deutschtums gegen römisch-welsche Überlistung und Bevormundung in 666 Thesen und Zitaten. Die Form in Thesen erinnert natürlich an den von Panizza verehrten Martin Luther, der auch gegen den Papst zu Feld gezogen war. Dieses Buch ist noch radikaler als das erste. Panizza wendet sich unter anderem gegen den Marienkult und gegen das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis. Er schreibt darin: „Diese einfache Jüdin, die wie jede andere in Schmerzen ihr Kind geboren hat, habt Ihr mit Rosenöl Eurer extravaganten Phantasie übergossen, und uns im Norden so unerträglich gemacht. Dieses Weib, welches Ihr wie eine Boudoir-Königin geschminkt, geziert und behängt habt, stieg zuletzt in Eurer wahnsinnigen, von sexuellen Beimischungen nicht freien Verehrung bis über Gottes Thron hinaus, wurde ‚Mittelpunkt des Weltalls‘, Mittelpunkt der christlichen Religion.“ Maria steht über Gottes Thron: Das erinnert an das im selben Jahr erschienene Liebeskonzil. Doch davon später.

Hier soll nur noch ein dunkles Kapitel der Rezeptionsgeschichte zur Sprache kommen. 1940 veröffentlichte der Schriftsteller und nationalsozialistische Kulturfunktionär Kurt Eggers (1905-1943) das letztgenannte Buch noch einmal: in veränderter Form und mit dem Titel Deutsche Thesen gegen den Papst und seine Dunkelmänner in dem SS-eigenen Nordland Verlag. Für ihren Kampf gegen die katholische Kirche konnten die Nazis Panizzas Buch gut gebrauchen. Und so wundert es nicht, dass es Martin Bormann war, der sich für die Verbreitung des Buches stark machte. In einem Brief an den Münchner Oberbürgermeister vom 16. April 1941 schreibt er: Der Inhalt des Buches „zeigt, mit welcher Unerbittlichkeit bereits am Ende des vorigen Jahrhunderts um die Überwindung der konfessionellen Zersetzungserscheinungen gerungen wurde; in seiner vernichtenden Sachlichkeit ist das Buch auch für unsere Zeit von großer Bedeutung. Panizzas Buch soll einem möglichst weiten Kreis von Parteigenossen, in erster Linie von Politischen Leitern und Gliederungsführern übersandt werden, und zwar nicht durch Einschaltung von Dienststellen der Partei, sondern direkt durch den Verlag.“ (Zitiert nach der Panizza-Biographie von Michael Bauer [Oskar Panizza. Ein literarisches Porträt. München: Hanser 1984, S. 25].) Panizza hätte sich wahrscheinlich im Grab umgedreht... Aber so fand diese Fassung seines Buches eine weite Verbreitung und ist heute relativ leicht im Antiquariat zu finden, im Gegensatz zur Ausgabe von 1894.

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