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Wilhelm Jensen. Foto: Ingvild Richardsen.

Grabstätte von Wilhelm Jensen

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Foto: Ingvild Richardsen.

Wir stehen vor dem Grab des Dichters Wilhelm Jensen (1837-1911) und seiner Frau Marie. Die beiden Dichter Wilhelm Jensen und Max Haushofer waren eng miteinander befreundet.

1837 in Kiel geboren, schloss Jensen sein Studium der Medizin, Philosophie und Literatur in Kiel, Würzburg und Breslau mit einem Doktortitel ab. 1863 zog er nach München. Im Dichterkreis um Emanuel Geibel machte er seine ersten schriftstellerischen Versuche und lernt hier auch den jungen Max Haushofer (1840-1907) kennen, den Sohn des Gründers der Frauenwörther Künstlerkolonie. Bald nimmt Haushofer den Freund in die Künstlerkolonie auf die Fraueninsel mit; hier begegnet Jensen 1864 der Malerin Marie Brühl, die er bereits 1865 in Wien heiratet.

Es dringt hierher kein trüber,
kein lauter Ton der Welt;
es ruht nur hoch darüber
Das blaue Friedenszelt.
Wo weithin totumkränzend
Die Alpenrose liegt,
Darauf der Falter glänzend
Die goldenen Flügel wiegt

Diese Verse über die Fraueninsel stammen aus Wilhelm Jensens 1869 veröffentlichten Gedichtzyklus Marie, die er seiner Frau widmete.

Bald zieht das Paar nach Stuttgart, wo Jensen fortan als Redakteur für die Schwäbische Volkszeitung arbeitet. Als man ihm die Leitung der Norddeutschen Zeitung anbietet, wechselt er 1869 nach Flensburg. 1876 übersiedelt das Paar aus beruflichen Gründen dann nach Freiburg. Hier lernt Jensen den Maler Emil Lugo kennen, der bald zu einem engen Freund wird und rechts sein Grab von ihm hat. 1888 ziehen die Jensens wieder nach München, wo Jensen mit Max Haushofer erneut in engstem persönlichen und schriftstellerischen Austausch steht. Die Erfahrung, dass beider erste Liebe früh gestorben war, verband diese Dichter zutiefst und so bildete denn in beider Schaffen der Tod auch ein Hauptthema. Bald kauften sich die Jensens auch ein Haus in Prien, wohnten aber auch mit den Haushofers immer wieder im Tuchmacherhaus.

Jensen, ein seinerzeit bekannter Dichter, hat eine Vielzahl von historischen Romanen und Erzählungen verfasst. 1895 publizierte er die Chiemgau-Novellen, den Ertrag seiner historischen Beschäftigung mit dem Chiemgau. In Die Glocken von Greimharting erzählt er von der Besiedlung des Chiemsees im sechsten Jahrhundert, in Hunnenblut vom Einfall der Hunnen in Bayern und ihrem Überfall auf den Chiemsee und Frauenwörth. In Von der Zeill stellte er dar, wie die Schweden im 17. Jahrhundert die Stadt Wasserburg am Inn belagert haben. Doch richtig berühmt geworden ist Jensen tatsächlich durch seine Novelle Gradiva (1903). In ihr begegnen wir dem von seinem Freund Max Haushofer immer wieder poetisierten Unsterblichkeitsgedanken, der Auffassung, dass der Mensch in verschiedenerlei Gestalt durch die Zeiten wandelt. Gradiva handelt von dem jungen Archäologen Norbert Hanold, der in einer Antikensammlung in Rom ein Reliefbild sieht. Es stellt eine junge nach vorn schreitende Frau dar. Fasziniert von der Anmut ihres Ganges, gibt er ihr den Namen „Gradiva“ nach dem Beinamen des zum Kampf ausziehenden Kriegsgottes, des Mars Gradivus. Bald geschieht Unglaubliches: Hanold begegnet Gradiva fortan nicht nur in seinen Träumen, sondern auch in der Realität.

Eintrag von Wilhelm Jensen in der Künstlerchronik von Frauenwörth. Foto: Thomas Gross. Rechts: Gradiva, die Vorschreitende (Relief, Rom). Foto: Ingvild Richardsen.

Sigmund Freud, dessen Traumdeutung 1900 erschien, war von Jensens Novelle fasziniert. Er analysierte die Träume Nobert Hanolds und legte anhand Jensens Novelle 1907 sogar seine erste große psychoanalytische Literaturinterpretation vor: Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva. Mehrmals kontaktierte er Jensen um seine Theorien bestätigt zu bekommen. Jensen aber verhielt sich zurückhaltend. Seine Gradiva jedoch entwickelte sich zu einer modernen mythologischen Gestalt, die jetzt auch viele Maler, Bildhauer und Filmemacher faszinierte. Die Surrealisten machten sie sogar zu ihrer Muse. Als André Breton 1937 in Paris eine Kunstgalerie eröffnete, gab er ihr den Namen „Gradiva“. Er war der Auffassung, dass „Gradiva“, die Voranschreitende, symbolisch dafür stehe, die verborgene Schönheit von morgen zu sehen.

Als der Maler Emil Lugo 1902 starb und auf Frauenchiemsee begraben wurde, war das ein schwerer Schlag für Wilhelm Jensen. Ein zweiter folgte, als auch das Leben seines Freundes Max Haushofer 1907 ein Ende fand. Zum Gedenken an ihn, den Chronisten der Frauenwörther Künstlerchroniken, schreibt Jensen in die Künstlerchroniken:

So stiegst auch du nun zu den Schatten nieder,
Der dieses Buch voller reicher Phantasie
Ein Halbjahrhundert lang Gestalt verlieh.
Es war dein Werk; die Bilder und die Lieder
Durchwoben es, sowie der Flieder
In jedem Jahr des Frühlings Poesie
Zurück hier bringt. Zur Blüte neu gedieh
Er jetzt, Du aber siehst ihn nicht mehr wieder.
Als Letzter nun aus jener fernen Zeit,
Da unser Lebensfrühling hier begonnen
Gedenk´ ich deiner heut´ und im Geleit
Der Jugend Sonnentage, die verronnen.
Stumm auf den alten Wegen geht zur Seit´
Dein Schatten mir, sich noch mit mir zu sonnen.

(Künstlerchroniken, 1907)

Wie zu sehen ist, wählte Jensen sein Grab so, dass er nach seinem Tod genau zwischen seinen beiden Freunden zu liegen kam. Ihm zur Rechten liegt der Maler Emil Lugo, ihm zur Linken der Dichter Max Haushofer. Jensen wollte den Männern, mit denen er im Leben tief verbunden war, auch im Tod nahe sein. Noch heute also zeugen die drei nebeneinanderliegenden Gräber von der Freundschaft dreier bedeutender Künstler.

Einige Jahrzehnte später allerdings hat sich zwischen Max Haushofer und Wilhelm Jensen dann noch jemand anderer gedrängt: der Schriftsteller Felix Schlagintweit. Dahinter verbirgt sich eine ganz spezielle Geschichte...


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Negendanck, Ruth (2008): Künstlerlandschaft Chiemsee. 150 Jahre Kunst im Chiemgau. Verlag Atelier im Bauernhaus, Weissenhorn, S. 87-89.

Richardsen, Ingvild (2017): Auf den Spuren der vergessenen Dichterinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München, S. 340-344.

Quellen:

Wilhelm Jensen: Liebesgedichte „Marie“. In: Gedichte von Wilhelm Jensen. Verlag von A. Kröner, Stuttgart 1869.

Ders.: Chiemgau-Novellen. Verlag von Emil Felber, Weimar 1895.

Ders.: Ein pompejanisches Phantasiestück. Reißner, Dresden/Leipzig 1903.


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