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Dengelstein. Foto: Uli Köhler

Irrlichter

Vor vielen Jahren wurden die Kinder zu allerlei Botengängen in die Weiler und Nachbardörfer durch den Kemptener Wald geschickt. Da ging`s vorbei am Dengelstein, von dem es hieß, der Sensenmann schärft für die nächste Ernte den Stahl. Dann führte der Weg hinein in den Wald durch Moos und den Sumpf. Nur die Mutigsten trauten sich hierher.

Nun begab es sich, dass eine Witwe ihr einziges Kind durch den Wald zum Onkel schickte, um Käse und Brot zu holen. Die Mutter sprach: „Schau, dass Du nicht vom Weg abkommst. In der Not werden dich die Heiligen des Himmels leiten.“

Beherzt machte sich der Knabe auf den weiten Weg. Er ging in die Dunkelheit, aber er war nicht bange und blieb sicher auf seinem Pfad.

Da sah er mit einem Mal vor sich ein Licht und er dachte bei sich: „möcht`s des Onkels Hof schon sein? Er lief munter darauf zu. Doch da tauchte ein anderes Licht auf und noch eins und noch eins. Ein leises Raunen und Wispern umspann seine Sinne, so dass er den Weg verlor und in einen dunklen Sumpf geriet. War er nun vollends verloren? Doch er dachte an die Worte seiner Mutter und vertraute auf die Mächte des Himmels.

Wie also der Junge allmählich im Morast zu versinken drohte, bemerkte er, dass die Lichter um ihn herum Gestalt annahmen. Plötzlich sahen ihn lauter schimmernde Gesichter an. Sie jammerten und flehten, aber der Bub konnte sie nicht verstehen. Jedoch spürte er ihre Not und er sprach: „So wahr mir Gott helfe, verspreche ich euch zu erlösen.“

Im selben Moment spürte er wieder Boden unter den Füßen und so schnell ihn diese trugen, lief er zu seinem Onkel und erzählte seine Erlebnisse. Der Onkel aber war ein weiser Mann, der die Sprache der jenseitigen Seelen verstand. Sofort machte er sich auf den Weg, um die Irrlichter zu finden. Als er ins Moos ging, war es dunkle Nacht und er rief: „Kommet Waidle, ihr arma Seale!“

Da strömten auch schon die Lichtlein mit tausendfachem Gefunkel herbei und umdrängten ihn. „Vergessen, vergessen“, wimmerten sie. „ Nur noch an die Güter des Lebens denken sie, nicht mehr an uns vergessene Seelen!“ Und sie jammerten so sehr, dass es dem Manne ganz weh ums Herz wurde. Dann ging er heim und berichtete in allen umliegenden Dörfern von seiner Geschichte. Betroffen überlegten die Menschen, wie sie den Irrlichtern helfen könnten.

Da hatte der Bub eine gute Idee: „Gebt jeder Seele, die es euch wert ist, ein Bild und stellt es auf ein Stöcklein, so sollen sie immer in Erinnerung bleiben.“ Und so machten alle Familien, die jemand zu betrauern hatten, ein „Seelenstöckle“ und stellten es an geeigneter Stelle auf.

Von da an kamen die vergessenen Seelen zur Ruhe und bis auf den heutigen Tag ist niemand mehr im Kemptener Wald von ihnen in die Irre geleitet worden.

 


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Verfasst von: Gemeinde Durach (Konzeption, Gestaltung der Stationen: Monica Ostermeier, Werkstatt für Gestaltung Durach) // Digitaler Literaturatlas von Bayerisch Schwaben DigiLABS / Rosmarie Mair, M.A. // Bayerische Staatsbibliothek

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