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Beginn des Tegernseer "Ludus de Antichristo": Clm 19411, fol. 2v. Das Spiel beginnt links unten mit dem Wort 'Templum', erkennbar an der großen T-Initiale. (Ludus de aventu et interitu Antichristi. Literae multae et alia excerpta ex Ottonis Frisingensis Gestis Imperatoris Friderici [u.a.] - BSB Clm 19411)

Seestraße 17: Museum Tegernseer Tal

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Mittelalterliche Darstellung der Kirche mit den Gläubigen im "Hortus Deliciarum": Oben ist die Kirche als Königin und Mutter ('Regina Ecclesia') dargestellt, neben ihr die Apostel, Päpste, Bischöfe und Ordensvorsteher, unten die Jugend sowie der hörende Teil der Kirche. An den vier Ecken sind je ein Prophet und Evangelist, über dem Bau der Kampf zwischen guten und bösen Geistern zu sehen.

Im zweiten Teil kommt der Antichrist mit den Figuren der Heuchler und Schmeichler, um Zwietracht zu säen. Der Antichrist verjagt die Ecclesia (Kirche), gewinnt durch Täuschung die Könige und macht Synagoga (für das Judentum) und die endzeitlichen Propheten Enoch und Elias zu Märtyrern. Im Augenblick seines höchsten Triumphs aber wird der Antichrist von Gott selbst (gleichsam als deus ex machina am Spielende) vernichtet. Am Ende der Zeit ist somit der Antichrist mit einem Donnerschlag Gottes besiegt.

Der Stoff dieses in der Literaturgeschichte durchaus einzigartigen Dramas beruht auf einem theologischen lateinischen Werk aus dem 10. Jahrhundert. Selbstständig hat der bis heute anonyme Tegernseer Autor daraus ein lateinisches Drama geformt. Dieses wurde auf einer Simultanbühne aufgeführt. Unter einer Simultanbühne versteht man eine bühnentechnische Anordnung, bei der nach einem feierlichen Einzug alle Personen gleichzeitig auf der Bühne sichtbar sind. Es gibt weder einen Bühnenvorhang noch Auftritte oder Abtritte. Die Schauspieler sitzen bzw. stehen auf Podesten. Konkreter Aufführungsort war der Altarraum der Tegernseer Klosterkirche, wo die Bühnenorte reihum angeordnet waren. Im Kirchenschiff konnte das Publikum das dramatische Geschehen vom Ende der Zeit verfolgen. Selbstverständlich wird in diesem Drama der Stauferzeit der deutsche König bzw. Kaiser als besonders vorbildlich und tapfer gezeigt. Sogar vom berühmten furor teutonicus („deutsche Kampfeswut“) ist die Rede.

Das einzigartige weltgeschichtliche Drama ist in zwei Handschriften überliefert. Diese führen nach Tegernsee und in benediktinischen Kontext. Dass ein scheinbar beschauliches Benediktinerkloster wie Tegernsee zum Entstehungs- und Aufführungsort eines solch schillernden und in seinen politischen Kampfszenen sehr weltlichen Dramas wird, verwundert nicht, wenn man weiß, dass in Tegernsee ungefähr gleichzeitig auch Minnedichtung und Romanliteratur entstand. Die Tegernseer Mönche hatten als Intellektuelle ihrer Zeit nicht nur für den Herzogshof, sondern auch für den Kaiserhof zu „liefern“. Als es in deutschen Landen noch keine Universitäten gab, waren Benediktinermönche, noch dazu in einem der ältesten deutschen Klöster wie Tegernsee, die intellektuelle Speerspitze für die Politik des Hochadels. Diese politische Elite wollte darüber hinaus durch repräsentatives Theater den Machtanspruch demonstrieren. Das Kloster Tegernsee lieferte dafür das „Drehbuch“ und stellte mit seinen Mönchen auch die Schauspieler.

Konkret dürfte der Ludus de Antichristo in der Klosterkirche im liturgischen Jahreskreis während der Adventszeit aufgeführt worden sein. Als Kostüm hat man sich für die Ecclesia (die personifizierte Kirche) etwa liturgische Gewänder, für Könige und Kaiser Rüstungen und Schwerter vorzustellen. Es gab nur männliche Schauspieler. Weibliche Rollen wurden von den Knaben der Klosterschule gesungen.

Insgesamt repräsentiert der Tegernseer Ludus de Antichristo in herausragender Weise das Theaterleben der Stauferzeit. 

 

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Verfasst von: TELITO / Prof. Dr. Klaus Wolf

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