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Beginn des Tegernseer "Ludus de Antichristo": Clm 19411, fol. 2v. Das Spiel beginnt links unten mit dem Wort 'Templum', erkennbar an der großen T-Initiale. (Ludus de aventu et interitu Antichristi. Literae multae et alia excerpta ex Ottonis Frisingensis Gestis Imperatoris Friderici [u.a.] - BSB Clm 19411)

Schloss Tegernsee: Ehem. Klosterkirche

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Antichrist mit den Attributen eines Königs im "Hortus Deliciarum" (um 1180)

Der literarische Spaziergang beginnt am Eingang der Klosterkirche. Nach Durchschreiten des Portals befindet man sich zunächst im Kirchenschiff, wo im Mittelalter das Publikum stand oder auch saß, um sich das Antichristspiel anzuschauen. Die Bühne befand sich vorne im Altarraum.

Das Auftreten des Antichrist gehört zu den biblisch begründeten Vorstellungen vom Ende der Welt. Der Antichrist ist eine Personifikation des gegen Christus gerichteten Bösen. Durch falsche Wunder gibt sich der Antichristus als Jesus Christus aus, um die Menschen zu täuschen und für sich einzunehmen. Am Ende wird der falsche Christus jedoch durch Gott entmachtet.

Das „Spiel vom Antichrist“, welches in der Gelehrtensprache Latein Ludus de Antichristo heißt, entstand vermutlich um 1160 im Kloster Tegernsee. Darin geht es um die Inszenierung der kaiserlichen Herrschaft mit zahlreichen Anspielungen auf die staufische Reichsideologie und ein paralleles Antichristdrama, das durch ein göttliches Strafgericht beendet wird.

Im Kloster Tegernsee entstand somit eines der originellsten mittelalterlichen Dramen überhaupt. Das „Spiel vom Antichrist“ oder Ludus de Antichristo wurde wie die meisten Dramen des hohen Mittelalters im Kirchenraum und nicht im Freien aufgeführt.

Worum geht es? In diesem pathetischen Drama stehen sich Gut und Böse gegenüber. Der lateinische Text wurde gesungen, begleitet von pantomimischer Handlung, damit auch Menschen ohne Lateinkenntnisse im Publikum dem Geschehen folgen konnten.

Die Handlung des Spiels ist zweiteilig:

Zunächst geht es um die Erringung der Weltherrschaft durch den deutschen Kaiser. Dies ist im 12. Jahrhundert ganz klar auf die Dynastie der Staufer gemünzt. Unter feierlicher Musik ziehen am Beginn des Dramas der König von Babylon, die Könige von Jerusalem, Frankreich und Griechenland sowie der römisch-deutsche Kaiser ein. Dem Zug folgen ebenso als allegorische Figuren Synagoga (für das Judentum), Ecclesia (für die christliche Kirche) und Gentilitas (für die Heiden, die im 12. Jahrhundert aber für die in den Kreuzzügen unter anderem durch Friedrich Barbarossa bekämpften Muslime stehen). Im Folgenden erlangt der (staufische) Kaiser die Weltherrschaft, legt danach aber demütig und gottergeben Krone und Zepter im Tempel zu Jerusalem nieder und beschränkt sich auf sein deutsches Königtum.

 


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Verfasst von: TELITO / Prof. Dr. Klaus Wolf

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