Lenaugasse 2: Feind Hebbel

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Von Ende 1846 bis Ende 1848 lebte Hebbel in der heutigen Lenaugasse 2

Auf dem Rückweg von einer langwährenden Italienreise kam der Dramatiker Friedrich Hebbel nach Wien. Der im damals dänischen Holstein geborene Dramatiker hatte erste Erfolge erzielt. Nun nahm die österreichische Hauptstadt ihm warm in Empfang. Schnell etablierte er sich sowohl beruflich als auch privat und blieb bis an sein Lebensende dort.

Adalbert Stifter scheinen Gemüt und Ästhetik des Norddeutschen von Anfang an nicht behagt zu haben. Er äußerte sich hierzu allerdings nicht öffentlich, sondern in Briefen. Um einen Artikel über den Dichterkollegen gebeten, lehnte er mit den Worten „nach meiner Individualität und nach meinen Kunststudien muß ich ihn in dem, was er bisher geleistet, völlig verwerfen“, ab.

Hebbel dagegen brachte Stifter öffentlich manche Wunde bei. 1849 verfasste er ein Epigramm, das explizit gegen den böhmischen Autor gerichtet war:

Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken?
Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht!
Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr schwärmen für Käfer?
Säht ihr das Sonnensystem, sagt doch, was wär euch ein Strauß?
Aber das mußte so sein; damit ihr das Kleine vortrefflich
Liefertet, hat die Natur klug euch das Große entrückt.

Stifter scheint davon verunsichert worden zu sein. Am 20.3.1850 schrieb er über seine eigenen Erzählungen selbstkritisch an Verleger Heckenast: »… die Gegner haben doch darin Recht, daß nicht immer solche idillische Sachen kommen sollen, und man muß sie nicht heraus fordern, namentlich, daß nicht auch das Publicum sage: es ist doch wirklich so“ (zitiert nach Matz).

1853 formuliert Stifter dann in der Vorrede zu den Bunten Steinen schließlich positiv sein berühmt gewordenes ästhetisches Programm:

„Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels das Schimmern der Gestirne halte ich für groß: das prächtig einherziehende Gewitter, den Blitz, welcher Häuser spaltet, den Sturm, der die Brandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer … Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird.“

1857 schlägt der Dramatiker Hebbel in einer Rezension zu Stifters Nachsommer erneut zu:

„Erst dem Mann der ewigen Studien, dem behäbigen Adalbert Stifter, war es vorbehalten, den Menschen ganz aus dem Auge zu verlieren, und in diesem vollzog sich denn auch die Selbstaufhebung der ganzen Richtung, die in seinem »Nachsommer« entschieden den letzten denkbaren Schritt getan hat … selbst derjenige, der dem Verfasser noch durch das Gebiet der Botanik mit Ruhe und Geduld gefolgt ist, muß einsehen, daß die ästhetische Tat aufhört, wo die Rezepte anfangen. Es ist aber durchaus kein Zufall, daß ein Stifter kam, und daß dieser Stifter einen »Nachsommer« schrieb, bei dem er offenbar Adam und Eva als Leser voraussetzte, weil nur diese mit den Dingen unbekannt sein können, die er breit und weitläuftig beschreibt. Darin liegt Folgerichtigkeit nach beiden Seiten … Und das überschätzte Diminutiv-Talent kommt ebenso natürlich vom Aufdröseln der Form zum Zerbröckeln und Zerkrümeln der Materie, schließt damit aber auch den ganzen Kreis vollständig ab.“

Vielleicht lässt es sich so zusammenfassen: Da haben zwei aneinander vorbeigeschossen und sich doch getroffen.

 


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