Stephansplatz: Turm des Stephansdomes
Heutzutage (2025) fährt ein Aufzug im Nordturm des Stephansdomes, man kann sich mühelos ein Bild von der umliegenden Stadt machen. Wer in den 1840er Jahren hinaufwollte – wie Adalbert Stifter – musste dagegen Treppen steigen. Auch das ist weiterhin möglich. Im Südturm führen 343 Stufen in einem schier endlosen Wendel hinauf in die rund 67 Meter hoch gelegene Türmerstube. Die Zutrittskarte ist mit 6,50 Euro um 50 Cents billiger als die für den Lift.
Immer rechtsdrehend geht es hinauf, mit Entgegenkommenden muss man auf der engen Stiege aushandeln, wer den Vortritt erhält. Das Turminnere wirkt düster, erst weit oben bemerkt man plötzlich das Licht. Da befindet sich der Raum, in dem die große Glocke, die Pummerin, hing. Sie war 1711 gegossen worden und wog 22,5 Tonnen. Am 12.4.1945 stürzte sie zusammen mit dem Südturm zu Boden. Eine aus ihren Teilen gegossene neue Glocke hängt nun im Nordturm.
Die Wächterstube liegt noch etwas höher, ist jedoch abgesperrt. Ein riesiges Sprachrohr erinnert daran, dass einst von hier aus nach Bränden in der Stadt gespäht und gegebenenfalls Alarm gegeben wurde. Zahlreiche Sprachen sind zu hören; der Turm ist rege besucht.
Der Wiener Stephansdom
In einem geradezu hymnischen, die Stadt feiernden Beitrag zu dem Sammelband Aus dem alten Wien versucht Adalbert Stifter seinen Eindrücken von der Metropole nicht bloß Ausdruck zu geben, sondern einen sprachlichen Zwilling der Hauptstadt zu erschaffen („Aussicht und Betrachtungen von der Spitze des Sankt Stephansturmes“). Systematisch lässt er das fernrohrverstärkte Auge vom Turm in alle Himmelsrichtungen schweifen. Wichtig ist ihm dabei, Wiens Vernetzung mit der Welt zu zeigen – die Straßen, die bereits seinerzeit voller Lastwagen waren, wenn auch solchen, die von Pferden gezogen wurden, und die „von unserem Hafen“, dem damals österreichischen Triest oder von Ungarn kamen, nach Norden wie nach Westen führten. Dabei erscheint nicht nur die Masse seine Bewohner, sondern auch Wien selbst wie ein hungriges Ungeheuer:
„Jene schweren Wagen, die du siehest, bringen vielnamige Waren in die Stadt, aber ein großer Teil derselben, die du mit einem dunkelroten Stoffe beladen siehst, kommt von jener Gegend, aus der du hinter dem Berge einzelne Rauchsäulen aufsteigen siehest, und bringt unablässig und unermüdlich jenes Materiale, woraus sich dieses riesige Häusergewimmel nach und nach erbaut hat: die Ziegel — und im Wienerberge liegen noch und harren unermeßbare Schichten von Ton, daß man noch ein Wien und noch eins und weiß Gott wie viele aneinander fortbauen könnte, bis der Berg erschöpft und eben, aber auch von der Stadt verschlungen wäre!“
Das nimmt bereits die großartigen Schilderungen Zolas in dem Roman Der Bauch von Paris (1873) vorweg. Als Schilderer einer Großstadt gehört der eine Generation ältere Stifter zu den Pionieren. So fasst er seinen Eindruck der Donaumetropole, vom Turm des Stephansdomes gesehen:
„Der Teil gerade zu unsern Füßen ist die eigentliche Stadt. Wir sehen sie wie eine Scheibe um unsern Turm herumliegen, ein Gewimmel und Geschiebe von Dächern, Giebeln, Schornsteinen, Türmen, ein Durcheinanderliegen von Prismen, Würfeln, Pyramiden, Parallelepipeden, Kuppeln, als sei das alles in toller Kristallisation aneinandergeschossen und starre nun da so fort.“
Blick vom Stephansdom nach Norden
Stifter-Biograf Wolfgang Matz feiert Stifters hier so gar nicht der Natur geltende Beschreibungskunst: „Mit dem Blick aus der Höhe versucht Stifter das Ganze einer Großstadt zu erfassen, deren Merkmal doch gerade die Gleichzeitigkeit unzähliger zusammenhangloser Ereignisse ist … Stifter … zeichnet gleichsam eine Gesamtdarstellung des Unüberschaubaren, ein Simultanbild von vieltausend verschiedenen Geschichten, von denen eine jede für die beteiligten Menschen das ganze Leben ausmacht.“
Adalbert Stifter knüpft an seine Beobachtungen grundlegende Gedanken. Wiederum zeigt er sich als Anhänger der Vernunft, sieht sie aber keineswegs durchgesetzt, weshalb es etwa die Waffenproduktion noch brauche. Die kleine Denkfigur des Dichters wirkt formelhaft, fast wie ein eingeübter Tanzschritt. An einer Stelle seines Berichts „von der Spitze des Stephansdomes“ erweist Stifter sich eindeutig als Optimist: „Die Welt wird immer schöner und großartiger — fast ist es betrübend, sterben zu müssen!“ Von da bis in den „Abgrund“, den er in den „Winterbriefen aus Kirchschlag“ in den Nebel über dem Land gerissen sieht, ist es ein weiter Weg.
Spaziergang starten: Station 2 von 8 Stationen
Heutzutage (2025) fährt ein Aufzug im Nordturm des Stephansdomes, man kann sich mühelos ein Bild von der umliegenden Stadt machen. Wer in den 1840er Jahren hinaufwollte – wie Adalbert Stifter – musste dagegen Treppen steigen. Auch das ist weiterhin möglich. Im Südturm führen 343 Stufen in einem schier endlosen Wendel hinauf in die rund 67 Meter hoch gelegene Türmerstube. Die Zutrittskarte ist mit 6,50 Euro um 50 Cents billiger als die für den Lift.
Immer rechtsdrehend geht es hinauf, mit Entgegenkommenden muss man auf der engen Stiege aushandeln, wer den Vortritt erhält. Das Turminnere wirkt düster, erst weit oben bemerkt man plötzlich das Licht. Da befindet sich der Raum, in dem die große Glocke, die Pummerin, hing. Sie war 1711 gegossen worden und wog 22,5 Tonnen. Am 12.4.1945 stürzte sie zusammen mit dem Südturm zu Boden. Eine aus ihren Teilen gegossene neue Glocke hängt nun im Nordturm.
Die Wächterstube liegt noch etwas höher, ist jedoch abgesperrt. Ein riesiges Sprachrohr erinnert daran, dass einst von hier aus nach Bränden in der Stadt gespäht und gegebenenfalls Alarm gegeben wurde. Zahlreiche Sprachen sind zu hören; der Turm ist rege besucht.
Der Wiener Stephansdom
In einem geradezu hymnischen, die Stadt feiernden Beitrag zu dem Sammelband Aus dem alten Wien versucht Adalbert Stifter seinen Eindrücken von der Metropole nicht bloß Ausdruck zu geben, sondern einen sprachlichen Zwilling der Hauptstadt zu erschaffen („Aussicht und Betrachtungen von der Spitze des Sankt Stephansturmes“). Systematisch lässt er das fernrohrverstärkte Auge vom Turm in alle Himmelsrichtungen schweifen. Wichtig ist ihm dabei, Wiens Vernetzung mit der Welt zu zeigen – die Straßen, die bereits seinerzeit voller Lastwagen waren, wenn auch solchen, die von Pferden gezogen wurden, und die „von unserem Hafen“, dem damals österreichischen Triest oder von Ungarn kamen, nach Norden wie nach Westen führten. Dabei erscheint nicht nur die Masse seine Bewohner, sondern auch Wien selbst wie ein hungriges Ungeheuer:
„Jene schweren Wagen, die du siehest, bringen vielnamige Waren in die Stadt, aber ein großer Teil derselben, die du mit einem dunkelroten Stoffe beladen siehst, kommt von jener Gegend, aus der du hinter dem Berge einzelne Rauchsäulen aufsteigen siehest, und bringt unablässig und unermüdlich jenes Materiale, woraus sich dieses riesige Häusergewimmel nach und nach erbaut hat: die Ziegel — und im Wienerberge liegen noch und harren unermeßbare Schichten von Ton, daß man noch ein Wien und noch eins und weiß Gott wie viele aneinander fortbauen könnte, bis der Berg erschöpft und eben, aber auch von der Stadt verschlungen wäre!“
Das nimmt bereits die großartigen Schilderungen Zolas in dem Roman Der Bauch von Paris (1873) vorweg. Als Schilderer einer Großstadt gehört der eine Generation ältere Stifter zu den Pionieren. So fasst er seinen Eindruck der Donaumetropole, vom Turm des Stephansdomes gesehen:
„Der Teil gerade zu unsern Füßen ist die eigentliche Stadt. Wir sehen sie wie eine Scheibe um unsern Turm herumliegen, ein Gewimmel und Geschiebe von Dächern, Giebeln, Schornsteinen, Türmen, ein Durcheinanderliegen von Prismen, Würfeln, Pyramiden, Parallelepipeden, Kuppeln, als sei das alles in toller Kristallisation aneinandergeschossen und starre nun da so fort.“
Blick vom Stephansdom nach Norden
Stifter-Biograf Wolfgang Matz feiert Stifters hier so gar nicht der Natur geltende Beschreibungskunst: „Mit dem Blick aus der Höhe versucht Stifter das Ganze einer Großstadt zu erfassen, deren Merkmal doch gerade die Gleichzeitigkeit unzähliger zusammenhangloser Ereignisse ist … Stifter … zeichnet gleichsam eine Gesamtdarstellung des Unüberschaubaren, ein Simultanbild von vieltausend verschiedenen Geschichten, von denen eine jede für die beteiligten Menschen das ganze Leben ausmacht.“
Adalbert Stifter knüpft an seine Beobachtungen grundlegende Gedanken. Wiederum zeigt er sich als Anhänger der Vernunft, sieht sie aber keineswegs durchgesetzt, weshalb es etwa die Waffenproduktion noch brauche. Die kleine Denkfigur des Dichters wirkt formelhaft, fast wie ein eingeübter Tanzschritt. An einer Stelle seines Berichts „von der Spitze des Stephansdomes“ erweist Stifter sich eindeutig als Optimist: „Die Welt wird immer schöner und großartiger — fast ist es betrübend, sterben zu müssen!“ Von da bis in den „Abgrund“, den er in den „Winterbriefen aus Kirchschlag“ in den Nebel über dem Land gerissen sieht, ist es ein weiter Weg.
Spaziergang starten: Station 2 von 8 Stationen


