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Passbild von SAID. Foto: Monacensia

Schreibwaren Müller (Freundschaften)

Seine – erwiderte – Liebe und damit „Heimat“ fand SAID vor allem im Schreiben und in seinen zahlreichen Freundschaften und freundschaftlichen Verbindungen.

Im Kiosk „Schreibwaren Müller“, der bereits seit mehreren Generationen betrieben wird, kaufte SAID täglich verschiedene Zeitungen (etwa: SZ, FAZ, Die Zeit, TAZ) und Zigaretten, manchmal auch Wodka. So lange, bis der Inhaber, Karl Dachinger, und er vom „Sie“ zum „Du“ wechselten und eine für SAID so typische untypische Freundschaft entstand zwischen dem Dichter, den man nie ohne Sakko und Weste antraf, und dem Kaufmann, der, wenn die „60er“ spielen, im Trikot hinter der Theke steht. Das Andenken an SAID hält Dachinger nach wie vor wach. Gegen 30 Cent erwarb er jedes der neu erschienenen Bücher – signiert. Mich selbst hat er zahlreiche Male mit Wodka für SAIDs Grab und Anekdoten versorgt. 

Nicht zuletzt diese Begebenheit zeigt: Was wir heute „Klassismus“ nennen, war SAID fremd, viel fremder als vielen anderen Intellektuellen (die ggf. über Klassismus dozieren). Er war mit den unterschiedlichsten Menschen, aus unterschiedlichsten Milieus und „Hintergründen“ befreundet. 

Die Angst,

den ersten Unbekannten

in dieser Sprache anzusprechen,

verflog, als er mir

wortlos die Zigarette aus der Hand nahm

und damit seine eigene ansteckte. 

schreibt er vom Anfang seines Aufenthaltes im Iran 1979 in wo ich sterbe, ist meine Fremde

Ich behaupte: SAID hat mit mindestens drei Dingen bis zuletzt nie wirklich abgeschlossen: der Liebe (oder der Hoffnung auf Liebe), dem Exil (dem Ringen mit dem Exil) und dem Rauchen. Letzteres war sicher Mitgrund für sein Sterben an einem Herzinfarkt – die anderen beiden aber vielleicht auch?

Vor dem Flughafengebäude

 

Letzter Blick auf diese Stadt.

Schon einmal

habe ich sie verlassen,

wie ein Mann,

der nur Zigaretten holt.

Emigrant ist,

wer länger bleibt. 

 

(ebenfalls aus wo ich sterbe, ist meine Fremde)

Bei allen Treffen mit SAID an öffentlichen Orten, saß er mit dem Rücken zur Wand und der Möglichkeit, die Eingangstür und den ganzen Raum zu überblicken. Die Gefährdung seines Lebens war ihm im wahrsten Sinne in Mark und Bein übergegangen. Sein Traum, mit Salman Rushdie einen Kaffee in Teheran zu trinken, ist nicht nur nie aufgegangen – auch die Gefährdung ihres Lebens trugen sie an verschiedenen Orten stets bei sich. SAIDs Nachname – mittlerweile für alle auf seinem Grabstein offensichtlich – kommt mir noch heute nicht laut über die Lippen. Zu gewohnt bin ich es, dass dies sein Geheimnis war, das es zu hüten galt. 

Bei aller Vorsicht war er dennoch ein nahbarer Autor: In all seinen früheren Werken ist eine Postfachadresse angegeben und in den späteren stets seine Emailadresse. Und wenn man ihm schrieb, dann antwortete er auch. 

Sein Leben war also bei allem Hadern im und mit dem Exil und der Einsamkeit als fester Konstante zugleich sehr reich – nicht im materiellen Sinne allerdings. Das muss man sich vergegenwärtigen, dass selbst jemand wie er, der fast alle Auszeichnungen erhalten hat, die es für deutschsprachige Autorinnen und Autoren, zumal Dichter, gibt, dass er nie etwas wie materiellen Wohlstand erlangte.

 


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Verfasst von: Sara Gómez