https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/2025/klein/SAID_Passfoto_164.jpg#joomlaImage://local-images/lpbplaces/2025/klein/SAID_Passfoto_164.jpg?width=164&height=150
Passbild von SAID. Foto: Monacensia

Wohnhaus (Heimat, Exil)

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/2025/klein/SAID%20Wohnhaus_500.jpg#joomlaImage://local-images/lpbplaces/2025/klein/SAID Wohnhaus_500.jpg?width=502&height=280
Foto: Sara Gómez

Im Hinterhaus der Tegernseer Landstraße 26 lebte SAID über 30 Jahre lang. Hier in Giesing, diesem traditionellen Arbeiter- und gerade auch Gastarbeiterinnen-Viertel und (somit) traditionell linkem Stadtteil, fühlte er sich offenkundig wohl und es ist nicht von ungefähr, dass er hier für so lange Zeit sein Zuhause fand.

SAID kam 1965 als Siebzehnjähriger zum Studium nach München: Sein Vater wollte, dass er Ingenieur würde, er aber studierte Politikwissenschaften (soweit mir bekannt ist: nie fertig) und begann nach und nach auf Deutsch zu schreiben. Er schrieb nie – literarisch – auf Persisch. Wohl aber zählte er sein Leben lang auf Persisch (er selbst sprach nie von „Farsi“).

Das Erlangen des Deutschen war zugleich die Schriftstellerwerdung. Den Vater muss er mehrfach entsetzt haben: Sowohl sein politisches Engagement (erst gegen den Schah, dann gegen die Diktatur der Mullahs) als auch die Berufswahl „Schriftsteller“ waren nichts, womit dieser gerechnet hatte. 

SAID hat dem Band wo ich sterbe, ist meine Fremde ein Zitat von Jean Améry vorangestellt, das die Thematik ‚Exil‘ kondensiert: „Wer das Exil kennt, hat manche Lebensantworten erlernt, und noch mehr Lebensfragen. Zu den Antworten gehört die zunächst triviale Erkenntnis, dass es keine Rückkehr gibt, weil niemals der Wiedereintritt in einen Raum auch ein Wiedergewinn der verlorenen Zeit ist.“ 

Das Exil ist etwas anderes als das – aktuell mehr und mehr ausgehebelte – Recht auf Asyl, das Exil ist ein Geisteszustand, der nicht aufhört, auch wenn das Asyl (offiziell) aufgehört hat und/oder nicht mehr nötig ist. Jean Améry wusste genau, wovon er sprach: Er war ein österreichisch-jüdischer Autodidakt und Autor, der 1938 ins belgische Exil floh, aber gleichwohl von den Nationalsozialisten deportiert wurde – er überlebte Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen. Später „legte er Hand an sich“.

Alles Dinge, die natürlich auch SAID wusste, als er das Zitat auswählte.

SAID wird teilweise ein dreifaches Exil zugeschrieben, etwa im Nachruf auf ihn bei Deutschlandfunk – ihn selbst habe ich von zwei sprechen hören: dem ersten aufgrund des Schahs und dem zweiten aufgrund der islamistischen Diktatur der Mullahs.

Das dritte wäre bezogen darauf, dass SAID eben ohne seine Mutter aufwuchs und auch seinen Vater oft nicht sah. Seine Mutter traf er im Erwachsenenalter nur ein einziges Mal und auf Vermittlung eines Halbbruders – der eines Tages beim zurückhaltenden Dichter anrief und ihn nach und nach wissen ließ, dass er nicht nur eine Mutter hatte, die sich mit ihm treffen wollte, sondern auch sechs Halbgeschwister. Das Treffen kam letztlich in Kanada, beim anderen „abtrünnigen“ Sohn, einem der Halbgeschwister, zustande. In Selbstbildnis für eine ferne Mutter und Landschaften einer fernen Mutter beschreibt er auf berührende, poetische und lakonische Art erst von dem Telefonat und den Vorbereitungen der Reise und dann vom tatsächlichen Treffen. 

Die Geschichte vom Wiedersehen mit seiner Mutter geht allerdings nicht gut aus, keine Nähe entsteht. SAID schließt seinen poetischen „Bericht“ mit den Sätzen: 

ich blieb draußen. ich fand keinen eingang.

ich suchte deine landschaften –

und fand ihre antwortlosigkeit.

nun hilft vielleicht nur die gelassenheit des besiegten. für eine neue liebe – diesmal ohne mutter – und ohne vaterland.

auf dass diese liebe länger dauere.

 


Zur Station 3 von 5 Stationen


 

Verfasst von: Sara Gómez