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Passbild von SAID. Foto: Monacensia

Ostfriedhof: Abteilung 91, Reihe 2, Grab 6 (Leben und Tod)

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Foto: Sara Gómez

Auf seinem Grabstein steht „Dichter und Freund“. Wir können die Toten nicht fragen, ob ihnen unser Gedenken gefällt oder zumindest passt – doch ich bin mir fast sicher, dass SAID sich über diese schlichte und gleichzeitig so präzise Beschreibung seines Wesens freuen würde. In den beiden Worten steckt so viel von dem, das ihn nahezu sein Leben lang beschäftigte und begleitete: Da war einerseits die große Einsamkeit – von Kindesbeinen an – und andererseits die Anzahl verschiedenster, teils jahrzehntelanger Freundschaften, die er wirklich zu pflegen wusste. 

Auf seinem Grabstein steht außerdem:

27. Mai 1947 in Teheran; † 15. Mai 2021 in München

SAID wuchs in Teheran als Sohn eines Offiziers und einer abwesenden Mutter auf. Die Ehe der Eltern war zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits geschieden worden, sie hatte nur 41 Tage gehalten – seine Mutter war bei seiner Geburt gerade mal 14 Jahre alt. In der Folge sollte SAID seine Mutter nur einmal als Jugendlicher und ein weiteres Mal mit über 40 Jahren treffen bzw. kennenlernen.

Auch der Vater war aufgrund seines Berufs sehr viel unterwegs, einmal sogar mit der „Halbmutter“ für ein ganzes Jahr in Paris. SAID wuchs daher nicht zuletzt bei seiner Großmutter (sehr streng und religiös) und seiner Lieblingstante (liberal, nicht religiös) auf, in einer Art „Convivencia“, wie er es selbst nannte und weiter: „mein vater übte keine religion aus und zwang mich auch zu keiner.“ Dieser Mikrokosmos prägte sein Verständnis von Dialog über (fast) alle Unterschiede hinweg – ein Verständnis, das aus ihm „im Westen“ einen Brückenbauer machte, einen, von dem man sich hierzulande gerne „den Islam“ erklären ließ. Er nahm die Rolle an – aber nie ließ er sich davon vereinnahmen, nie in den Dienst einer bestimmten Sache stellen und nie schwieg er zu all den grausamen Widersprüchen, in denen sich ebenjener „Westen“ so häufig verfängt, der so gerne anderen die Welt erklärt.

Bücher wie in Deutschland leben oder ich und der Islam erschienen in diesem Zusammenhang. 

SAID erlag im Mai 2021 einem Herzinfarkt. Er hatte im Gespräch mit Wieland Freund 2003 dazu etwas gesagt, das sich nun, vier Jahre nach seinem Tod, fast hellseherisch liest:

im sommer 2002 hatte ich einen herzinfarkt. ich möchte nicht pathetisch klingen, aber ein herzinfarkt ist ein halber tod. es ist, als hätte der tod angeklopft und seine visitenkarte abgegeben. danach ändert sich das leben ganz. man wirft ballast ab, für die nächste reise... ich habe siebzehn jahre im iran gelebt und beinahe vierzig [insg. fast 60] in deutschland. erst jetzt habe ich einen deutschen paß beantragt [...] vielleicht will ich den tod herausfordern – mit einem neuen paß.

2004 erhielt SAID die deutsche Staatsbürgerschaft. Er hatte dem Tod in diesem Sinne fast 20 Jahre abgerungen. Sein feiner Humor, sein Witz, gepaart mit den Themen eines Lebens, lassen sich aus diesen persönlichen Notizen aufs Exemplarischste herauslesen. 

Die Inschrift auf seinem Grabstein ist ein Auszug aus dem titelgebenden Gedicht von jenem Band wo ich sterbe, ist meine Fremde, den SAID nach seinem Aufenthalt von sieben Wochen 1979 im Iran schrieb. Jener kurzen Zeitspanne also zwischen dem Ende der Schah-Diktatur und der sog. Islamischen Revolution, die letztlich in der Diktatur Chomeinis und seinen Mullahs mündete – und bis heute anhält. Begleitet wurde er bei diesem so bedeutsamen Aufenthalt von der Autorin Luise Rinser, die das Vorwort beisteuerte. 

Das titelgebende Gedicht lautet in Gänze: 

Geliebte,

auf diesen Straßen kann ich

nicht einmal deine Hand halten.

Wie verspottet hier

die Liebe ist.

Wo ich sterbe,

ist meine Fremde.  

Der Tod als Besucher, als Widersacher, als Gegenüber, spielt in SAIDs Werk eine wichtige und wiederkehrende Rolle – oft als Gegenüber der Liebe. 

Hattest du nicht gesagt,

daß du deine Hände ausbreitest

und ihn verscheuchst,

wenn der Tod kommt

und sich mit mir versöhnen will?

(Aus dem Band Sei Nacht zu mir – Liebesgedichte von 1998, der den Beginn und das Ende und alles dazwischenliegende einer Liebesbeziehung skizziert.)

Eine intime, innige, friedvolle Szene. Im Winter wird das Grab zum Schutz eingeschalt.

 


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Verfasst von: Sara Gómez