Die Corona-Krise zerstörte die eingeschliffenen Verhaltensweisen, die liebgewonnenen Gewohnheiten ebenso wie die tägliche Routine. Die Stille im Außen schafft auch innen Ruhe. Das Vakuum des isolierten Alltags füllt sich mit Erinnerungen. Der Blick nach vorn ist versperrt, vernebelt von seelenlosen Statistiken und Schreckensnachrichten. Alle Vorstellungen von Zukunft sind wertlose Optionsscheine. Was bleibt mir in dieser Situation?

Für mich habe ich zwei Wege gefunden: Zum einen das Durchstöbern alter Zettelkästen und feinelektrischer Notizen, zu schauen, was sich vielleicht auszuarbeiten lohnt. Zum anderen der Blick zurück, nachspüren, was war und was davon wert sein könnte, festzuhalten.

Ein Anfang

Ende März 2020 brach die Corona-Krise über uns herein.

Ausgerechnet in meinem siebzigsten Lebensjahr! Schlagartig waren alle Planungen nichtig, Termine hinfällig, Treffen mit anderen gefährlich und verboten. Die eigenen vier Wände verwandelten sich über Nacht in einen Käfig. Nun kam etwas über uns, das wir noch nie erlebten: Wir wurden physisch und teils auch mental auf uns selbst zurückgeworfen.

Doch es ist nicht meine manchmal auftretende Sehnsucht nach Ruhe, nach Ungestörtsein, die sich überraschend erfüllte, nein, es ist ein Zwang, es ist die absolute Einschränkung der Freiheit hinzugehen, wohin man will und wann man will. Ich sagte mir, wenn man derart auf das Innen fixiert ist, öffnet sich vielleicht und im besten Fall dadurch eine Tür zum Inneren.

Meine Literatur ist für mich stets auch die Verortung meiner selbst.

Geographische Koordinaten verschmelzen mit meinem Denkfühlen.

Auch wenn mich meine Geschichten ins alte Ägypten oder ins Troja des Homer führen, wenn ich dem Golem in Prag begegne oder den Reitern der Wilden Jagd in Rothenburg ob der Tauber, es sind immer überzeitliche, besser vielleicht unzeitliche Schauplätze. Sie werden durch das Festhalten in Buchstaben zu Fixpunkten meiner Biographie, zu persönlichen Lebensstationen.

Doch das Leben ist kein solitärer massiver Block, es besteht aus Fragmenten. Große und kleine, spektakuläre und unscheinbare. So beschloss ich, die Splitter meiner Erinnerungen in mir zu suchen. Nicht als Forscher meiner selbst wollte ich unterwegs sein, sondern als Flaneur, als einer, der auf dem Boulevard seines Lebens spaziert und in die Schaufenster blickt.

 


Spaziergang starten: Station 1 von 9 Stationen


 

Literaturspaziergang Auf den Lebensspuren von Gerd Scherm als PDF-Druckversion