Eine Rezension zu Julia Engelmanns Debütroman „Himmel ohne Ende“
Julia Engelmann, geboren 1992 in Elmshorn, ist Schauspielerin, Poetry-Slammerin und Autorin mehrerer Lyrikbände. 2014 wurde sie durch den Poetry-Slam-Text „Eines Tages, Baby“ bekannt, der über 14 Millionen Views erreicht. Die Autorin lebt in Berlin. Im Juli 2025 erscheint Engelmanns Debütroman Himmel ohne Ende bei Diogenes. Johanna Mayer hat ihn für das Literaturportal Bayern gelesen.
*
„Da ist es irgendwo, da draußen ist irgendwo mein Leben und ich habe keine Ahnung, wie ich darankommen soll.“
Das Leben kann manchmal ganz schön kompliziert sein. Mal ziehen die Wolken am stürmischen Himmel so schnell über uns hinweg, dass wir nicht merken, wie rasend schnell alles sich ändert und bewegt, mal ist der Himmel nur noch grau und schwer, eine trübe, starre Decke, die sich über uns legt und die Welt anhält. Und dann geschieht es – zumindest ab und zu, dass die Wolken wie Watte sanft vorüberziehen, die Sonne uns vom babyblauen Himmel zulächelt und wir genau wissen: Dieser Moment – genau dieser Moment – ist das Beste, was uns passieren kann. Mit den Veränderungen des Himmels umzugehen, ist nicht immer leicht und will gelernt sein. Wie schwerwiegend und zugleich bestimmend der Wandel des Himmels sein kann – das erzählt die Geschichte von Charlie, der Protagonistin in Julia Engelmanns Debütroman Himmel ohne Ende.
Charlie ist 15, heißt eigentlich Charlotte, und hat es nicht leicht: Sie vermisst ihren Vater, der die Familie verlassen hat, ihre Mutter hat einen neuen Freund und kaum Zeit für sie, ihre beste Freundin Kati möchte mit ihr nichts mehr zu tun haben und Mikolaj, in den sie heimlich verliebt ist, würdigt sie keines Blickes. Charlie findet sich am Schuljahresende – dem Romananfang – schließlich bei der Schulpsychologin wieder: Alles erscheint sinnlos, die bevorstehenden Sommerferien wie der Anfang vom Ende. Bis Kornelius, genannt Pommes, in Charlies Leben tritt. Pommes, dem es egal ist, dass Charlie ein Außenseiter in der Klasse ist, dem es egal ist, dass Charlie mehr denkt als redet. Pommes, dessen Schwester bei einem Unfall gestorben ist und der Panikattacken hat. Und langsam, aber sicher verlässt Charlie das Loch, in dem sie sich vor der Welt zurückgezogen hat. Auf einmal sind die Klassenkameraden nett zu ihr, die Schule gar nicht so schlimm und das Leben … das Leben ist eigentlich auch gar nicht so schlimm. Die Wolken, die ihren Himmel verdunkeln, bezähmt sie mithilfe ihrer Freunde und ihrer Familie. Auch wenn das Ende nicht offenbart, wie Charlies weiterer Lebensweg aussieht, erhält man doch den Eindruck, dass sie durch die Freundschaft zu Pommes gelernt hat, mit der endlosen Weite des Himmels umzugehen.
Julia Engelmann hat mit Himmel ohne Ende einen klassischen Coming-of-Age-Roman geschrieben, der ganz am Puls der Zeit ist. Die berührende Freundschaft von Charlie und Pommes sowie die zahlreichen Szenen, die in der Schule spielen und den Schulalltag widerspiegeln, versetzen den Lesenden zurück in jene Zeit des Lebens, in der es nur die Wahl zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ gab. Zugleich ist der Roman viel mehr als nur eine Geschichte über Freundschaft oder ein Roman für Teenager: Die Entwicklung Charlies von einer zurückgezogenen, melancholischen Außenseiterin hin zu einer selbstbewussten, coolen, jungen Frau, die sich die Haare blau färbt und alleine nach Paris reist, macht deutlich, dass die Handlung von Himmel ohne Ende tiefergeht und die Frage nach der eigenen Identität, dem eigenen Ich stellt. Zumindest für seine Protagonistin findet das Buch auch eine Antwort:
Und als würde ich von draußen durch ein Fenster in ein fremdes Wohnzimmer blicken, dachte ich an die Charlie von letztem Sommer. Wie traurig sie gewesen war. Wie sehr sie weg gewollt hatte. Das ist doch verrückt. Denn als ich endlich in Paris angekommen war, da wollte ich … von allen Orten auf der großen weiten Welt nur noch zurück nach Hause. Und ich glaube, das war, weil ich inzwischen mehr an mich ranließ: alles Traurige, Tragische, Lustige, Schöne. Weil es jetzt auch in mir passiert und nicht mehr nur vor meinen Augen. Und auch, wenn es manchmal wehtat, war ich froh, das alles zu fühlen.
Hinzu kommt Engelmanns wunderbare Sprache, die modern und regelrecht cool, zugleich aber so feinfühlig und glasklar ist, dass man sich einem Eintauchen in Charlies und Pommes' Welt nicht entziehen kann. Manche Passagen – insbesondere die, in denen Charlie ihre Gedanken offenbart – sind dabei ungemein ehrlich, und die Art, wie die 15-jährige die „Welt der Erwachsenen“ auf ironische Art vorführt, erinnert an der einen oder anderen Stelle zurück an das eigene „Teenager“-Ich.
Himmel ohne Ende ist ein Roman für Jung und Alt – für die einen, um zu wissen, dass sie nicht allein sind, dass die dunkle Wolke am blauen Himmel vorbeiziehen wird – für die anderen, um sich zurückzuerinnern an eine Zeit, in der alles unsicher, neu und verheißungsvoll war. Julia Engelmann hält in ihrem Debüt das Lebensgefühl einer ganzen Generation fest und beschreibt in ihrem Roman eine Geschichte, die zeitloser und zugleich gegenwärtiger nicht sein könnte. Und vielleicht ist es genau dieses Gefühl, das den Roman so lesenswert macht: Unser Himmel – der Himmel ohne Ende – hat weder Anfang noch Ende, lässt nach jedem Sturm die Sonne wieder aufgehen, lässt auch die dunkelste Wolke vorüberziehen – und zeigt uns erst, wie einzigartig, sonderbar und unglaublich das Leben ist.
Julia Engelmann: Himmel ohne Ende. Diogenes Verlag, Zürich 2025, 336 S.
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Julia Engelmann, geboren 1992 in Elmshorn, ist Schauspielerin, Poetry-Slammerin und Autorin mehrerer Lyrikbände. 2014 wurde sie durch den Poetry-Slam-Text „Eines Tages, Baby“ bekannt, der über 14 Millionen Views erreicht. Die Autorin lebt in Berlin. Im Juli 2025 erscheint Engelmanns Debütroman Himmel ohne Ende bei Diogenes. Johanna Mayer hat ihn für das Literaturportal Bayern gelesen.
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„Da ist es irgendwo, da draußen ist irgendwo mein Leben und ich habe keine Ahnung, wie ich darankommen soll.“
Das Leben kann manchmal ganz schön kompliziert sein. Mal ziehen die Wolken am stürmischen Himmel so schnell über uns hinweg, dass wir nicht merken, wie rasend schnell alles sich ändert und bewegt, mal ist der Himmel nur noch grau und schwer, eine trübe, starre Decke, die sich über uns legt und die Welt anhält. Und dann geschieht es – zumindest ab und zu, dass die Wolken wie Watte sanft vorüberziehen, die Sonne uns vom babyblauen Himmel zulächelt und wir genau wissen: Dieser Moment – genau dieser Moment – ist das Beste, was uns passieren kann. Mit den Veränderungen des Himmels umzugehen, ist nicht immer leicht und will gelernt sein. Wie schwerwiegend und zugleich bestimmend der Wandel des Himmels sein kann – das erzählt die Geschichte von Charlie, der Protagonistin in Julia Engelmanns Debütroman Himmel ohne Ende.
Charlie ist 15, heißt eigentlich Charlotte, und hat es nicht leicht: Sie vermisst ihren Vater, der die Familie verlassen hat, ihre Mutter hat einen neuen Freund und kaum Zeit für sie, ihre beste Freundin Kati möchte mit ihr nichts mehr zu tun haben und Mikolaj, in den sie heimlich verliebt ist, würdigt sie keines Blickes. Charlie findet sich am Schuljahresende – dem Romananfang – schließlich bei der Schulpsychologin wieder: Alles erscheint sinnlos, die bevorstehenden Sommerferien wie der Anfang vom Ende. Bis Kornelius, genannt Pommes, in Charlies Leben tritt. Pommes, dem es egal ist, dass Charlie ein Außenseiter in der Klasse ist, dem es egal ist, dass Charlie mehr denkt als redet. Pommes, dessen Schwester bei einem Unfall gestorben ist und der Panikattacken hat. Und langsam, aber sicher verlässt Charlie das Loch, in dem sie sich vor der Welt zurückgezogen hat. Auf einmal sind die Klassenkameraden nett zu ihr, die Schule gar nicht so schlimm und das Leben … das Leben ist eigentlich auch gar nicht so schlimm. Die Wolken, die ihren Himmel verdunkeln, bezähmt sie mithilfe ihrer Freunde und ihrer Familie. Auch wenn das Ende nicht offenbart, wie Charlies weiterer Lebensweg aussieht, erhält man doch den Eindruck, dass sie durch die Freundschaft zu Pommes gelernt hat, mit der endlosen Weite des Himmels umzugehen.
Julia Engelmann hat mit Himmel ohne Ende einen klassischen Coming-of-Age-Roman geschrieben, der ganz am Puls der Zeit ist. Die berührende Freundschaft von Charlie und Pommes sowie die zahlreichen Szenen, die in der Schule spielen und den Schulalltag widerspiegeln, versetzen den Lesenden zurück in jene Zeit des Lebens, in der es nur die Wahl zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ gab. Zugleich ist der Roman viel mehr als nur eine Geschichte über Freundschaft oder ein Roman für Teenager: Die Entwicklung Charlies von einer zurückgezogenen, melancholischen Außenseiterin hin zu einer selbstbewussten, coolen, jungen Frau, die sich die Haare blau färbt und alleine nach Paris reist, macht deutlich, dass die Handlung von Himmel ohne Ende tiefergeht und die Frage nach der eigenen Identität, dem eigenen Ich stellt. Zumindest für seine Protagonistin findet das Buch auch eine Antwort:
Und als würde ich von draußen durch ein Fenster in ein fremdes Wohnzimmer blicken, dachte ich an die Charlie von letztem Sommer. Wie traurig sie gewesen war. Wie sehr sie weg gewollt hatte. Das ist doch verrückt. Denn als ich endlich in Paris angekommen war, da wollte ich … von allen Orten auf der großen weiten Welt nur noch zurück nach Hause. Und ich glaube, das war, weil ich inzwischen mehr an mich ranließ: alles Traurige, Tragische, Lustige, Schöne. Weil es jetzt auch in mir passiert und nicht mehr nur vor meinen Augen. Und auch, wenn es manchmal wehtat, war ich froh, das alles zu fühlen.
Hinzu kommt Engelmanns wunderbare Sprache, die modern und regelrecht cool, zugleich aber so feinfühlig und glasklar ist, dass man sich einem Eintauchen in Charlies und Pommes' Welt nicht entziehen kann. Manche Passagen – insbesondere die, in denen Charlie ihre Gedanken offenbart – sind dabei ungemein ehrlich, und die Art, wie die 15-jährige die „Welt der Erwachsenen“ auf ironische Art vorführt, erinnert an der einen oder anderen Stelle zurück an das eigene „Teenager“-Ich.
Himmel ohne Ende ist ein Roman für Jung und Alt – für die einen, um zu wissen, dass sie nicht allein sind, dass die dunkle Wolke am blauen Himmel vorbeiziehen wird – für die anderen, um sich zurückzuerinnern an eine Zeit, in der alles unsicher, neu und verheißungsvoll war. Julia Engelmann hält in ihrem Debüt das Lebensgefühl einer ganzen Generation fest und beschreibt in ihrem Roman eine Geschichte, die zeitloser und zugleich gegenwärtiger nicht sein könnte. Und vielleicht ist es genau dieses Gefühl, das den Roman so lesenswert macht: Unser Himmel – der Himmel ohne Ende – hat weder Anfang noch Ende, lässt nach jedem Sturm die Sonne wieder aufgehen, lässt auch die dunkelste Wolke vorüberziehen – und zeigt uns erst, wie einzigartig, sonderbar und unglaublich das Leben ist.
Julia Engelmann: Himmel ohne Ende. Diogenes Verlag, Zürich 2025, 336 S.