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28.01.2014, 15:12 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [333]: Die Rhetorik des Höflings

Männerstrumpfhose von 1795

Ich habe mich glücklich auf Seite 275 hochgearbeitet – und begegne einer Variation des Themas Der gute oder der Hofton. Das Einbein geht nämlich davon aus, dass der weibliche Ton mit eben jenen Tönen – besser: jenem Ton, der zwei Titel trägt – identisch sei oder zumindest derartige Ähnlichkeiten besitzt, dass er daraus sein satirisches Feuer schlagen kann. Sind's mehr als Funken? Wohl.

Oberflächlichkeit, Lässlichkeit von Meinungen, das ist es. Der wahre Höfling weiß, wie man alle Heilige und alle Teufel schwarz zu präzipitieren weiß. Dies verbindet ihn übrigens mit der Schwefelleber. Schwefelleber? Wo ist der Kommentar? Ach, der Kommentar verlässt den unglücklichen Leser – doch weiß er sich Hilfe: Schwefelleber ist, man kann das woanders nachlesen, ein Gemisch aus verschiedenen kaliumhaltigen Substanzen, die man durch das Zusammenschmelzen von Pottasche und Schwefel gewinnt. Und weiter: Der schwedische Chemiker Carl Wilhelm Scheele benutzte Schwefelleber bei seinen Versuchen, die Zusammensetzung der Luft zu bestimmen. In seinem 1777 veröffentlichten Manuskript Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer schlussfolgerte er aus einem Versuch mit wässriger Lösung von Schwefelleber, „die Luft muss aus elastischen Flüssigkeiten von zweyerley Art, zusammengesetzt seyn“, wovon eines „Feuerluft“, auf Deutsch: Sauerstoff sei. Jean Paul schreibt, dass die Schwefelleber sich aber nur auf Metalle einschränkt – es stimmt: In der Metallverarbeitung wurde Schwefelleber zum Schwarzfärben von Kupfer oder Silber verwendet, wenn es darum ging, Schmuckstücke herzustellen.

Womit wir wieder beim Thema sind: denn die Rhetorik des Höflings soll glitzern und glänzen. Man könnte auch sagen: Seinem Mund soll nichts als heiße Luft entströmen. Sie soll keine beweisbare Meinung repräsentieren – oder doch nur eine, die sich sofort wieder ins Gegenteil verkehren kann.

Nichts verengt den Tanzplatz des Witzes so sehr, als wenn eigne Meinungen und Wahrheitliebe darin als feste dicke Säulen stehen.

Und noch etwas ist wahrhaft witzig: dass der Erzähler von jenen „Katheder-Eiländern“ berichtet, die vielleicht jahrelang die nämlichen Meinungen und Hosen behalten. Nun muss man nicht mutmaßen, dass das jahrelange Tragen einer Hose einem Denker zum Ruhme gereicht. Auch diese Leute beginnen irgendwann zu riechen; die Löcher, durch die Wahrheiten blitzen, werden vielleicht irgendwann so groß, dass das nackte Fleisch oder die Unterhose unangenehm absticht. Ein Katheder ist nur ein Katheder – auch das Holz dieses Möbels kann sich irgendwann schwarz einfärben...

Scheele – übrigens ein Mann aus Stralsund (Putbus ist nicht weit entfernt), der schon 1786 starb – veröffentlichte 1777 diese bedeutende Schrift, die Jean Paul möglicherweise kannte.

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