Fünf Gedichte von Halyna Petrosanyak
					
					Halyna Petrosanyak, geboren 1969 in Tscheremoschna, ukrainische Karpaten, seit 2016 in der Schweiz lebend, ist Autorin von fünf Lyrikbänden auf Ukrainisch und übersetzt Prosa aus dem Deutschen ins Ukrainische. In den 1990er-Jahren prägte sie zusammen mit Juri Andruchowytsch und anderen eine unabhängige Künstlergruppe, die u.a. die multiethnische Vergangenheit ihrer gemeinsamen Stadt Iwano-Frankiwsk thematisierte. 1996 erschien ihre erste Gedichtsammlung Park am Hang, ein Gedicht daraus erhielt einen Preis „Für das beste Gedicht des Jahres“. 2007 gewann sie den Hubert-Burda-Preis für osteuropäische Autoren in Deutschland und war 2011 Stipendiatin der Villa Waldberta in Feldafing. Mit Exophonien. Im Rhythmus der Landschaft, so der Titel ihrer jüngsten Sammlung auf Ukrainisch, erscheinen ihre gesammelten Gedichte 2022 auf Deutsch.
*
Fünf Gedichte
Grünes Feld, weshalb du schwarz geworden?
 T. Schewtschenko, 1848
Ein Storch mit einem angebrannten Flügel
 mit einer Spur von Blut auf weißem Köpfchen
 erstarrt und regungslos, wie eingewachsen
 steht in der Mitte des verbrannten Feldes
 wo gestern noch im Wind die Ähren wogten
 des ukrainischen, des heiligen Getreides.
Du schaust ihn an. Ist er real? Ein Traum?
 Du tastest an die angebrannten Ähren.
 Durch Ruß erscheint lebhaftes Korn.
 das weckt dich auf: Das Saatgut auf der Hand,
 es lebt und seine Wärme
 nicht vom bösen Feuerteufel stammt.
Der Storch lässt los die angebrannten Federn
 und breitet die verletzten Flügel aus…
 Doch zieht er nicht im Herbst fort in den Süden
 von seinem durch den Brand zerstörten Felde,
 aus dem vom Feind kontaminierten Nest.  
**
Neutralität
Er taucht
 geheim auf,
 meistens in der Nacht
Er verbreitet einen Gestank 
 von Schweiß und Eiter
 der fremden Wunden
Auf seiner Kleidung
 und auf den Händen
 gibt es seltsame rote
 Flecken zu sehen
Aus seiner Tasche
 holt er
 einen Diamantring
 und wischt ihn am Hemd ab
Etwas Unheimliches
 flimmert in seinem Lächeln,
 wenn er dir den Ring überreicht
Du willst etwas fragen
 die Worte aber bleiben dir in der Kehle stecken
Schweigend
 nimmst du den Ring
 und steckst ihn an deinen Finger
Was geht es dich an, wo er ihn herhat?
 Was gehen dich die Blutflecken an?
Er ist nicht dein Ehemann
 Und wenn man genauer hinschaut,
 sogar kein Freund
Du bist ja
 neutral…
***
Heute
 gab es einen Ostergottesdienst
unsere Ostern
 in der Kirche von einem fremden Land
hinter meinem Rücken 
 sagte plötzlich eine Frau
 zu einer anderen
ich komme aus Butscha
Christus ist auferstanden
 den Tod durch den Tod besiegt
Zehn Tage saßen wir
 in einem Keller
 Unsere Freunde wurden
 am ersten Tag
 aus einem Panzer erschossen
 Die Nachbarin wurde vergewaltigt
 vor den Augen ihres minderjährigen
 Sohnes
Christus ist auferstanden
 den Tod durch den Tod besiegt
Irgendwann am Abend
 als die Schießerei aufhörte
 ist es uns gelungen
 zu fliehen
unterwegs sahen wir
 von Kugeln durchgeschossene Autos
 und getötete Menschen darin
Christus ist auferstanden
 ich komme aus Butscha
 den Tod durch den Tod besiegt
****
Vom Sand bedeckte
 tödliche Minen
 auf Kinderspielplätzen
 in ukrainischen Städten
Das internationale
 humanitäre Recht
 hat sich wahrscheinlich
 verlaufen
 irgendwo
 zwischen Genf und Moskau
Die Getreidekörner
 haben ausgetrieben
 zwischen Raketenbruchstücken
Ein rostiger russischer Panzer
 in einem ukrainischen Obstgarten
 inmitten der reichen Kohlernte
Tonnen CO2 und Ruß
 werden in die Luft
 ausgestoßen
 durch Raketen,
 die auf die Ukraine fallen
Wo bist du,
 Greta?
Es ist die höchste Zeit
 für eine internationale Klima-
 und Umweltschutzkonferenz
 in Moskau
 (Russland ist doch Europa,
 oder?)
*****
Explosion,
 eine höllische Dissonanz
 zum Atem
die Schwärze
 auf dem Schwarzen,
 nur Wunden
 rot
 wie Blitze
Wasserzeichen des Geistes
 am verstümmelten Körper
 der Heimat
Möge
 die Klage
 meines Volkes
 wie ein Fels
 auf das Grab
 des Feindes
 fallen
Alle Gedichte © Halyna Petrosanyak
Weitere Kapitel:
				
				Halyna Petrosanyak, geboren 1969 in Tscheremoschna, ukrainische Karpaten, seit 2016 in der Schweiz lebend, ist Autorin von fünf Lyrikbänden auf Ukrainisch und übersetzt Prosa aus dem Deutschen ins Ukrainische. In den 1990er-Jahren prägte sie zusammen mit Juri Andruchowytsch und anderen eine unabhängige Künstlergruppe, die u.a. die multiethnische Vergangenheit ihrer gemeinsamen Stadt Iwano-Frankiwsk thematisierte. 1996 erschien ihre erste Gedichtsammlung Park am Hang, ein Gedicht daraus erhielt einen Preis „Für das beste Gedicht des Jahres“. 2007 gewann sie den Hubert-Burda-Preis für osteuropäische Autoren in Deutschland und war 2011 Stipendiatin der Villa Waldberta in Feldafing. Mit Exophonien. Im Rhythmus der Landschaft, so der Titel ihrer jüngsten Sammlung auf Ukrainisch, erscheinen ihre gesammelten Gedichte 2022 auf Deutsch.
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Fünf Gedichte
Grünes Feld, weshalb du schwarz geworden?
 T. Schewtschenko, 1848
Ein Storch mit einem angebrannten Flügel
 mit einer Spur von Blut auf weißem Köpfchen
 erstarrt und regungslos, wie eingewachsen
 steht in der Mitte des verbrannten Feldes
 wo gestern noch im Wind die Ähren wogten
 des ukrainischen, des heiligen Getreides.
Du schaust ihn an. Ist er real? Ein Traum?
 Du tastest an die angebrannten Ähren.
 Durch Ruß erscheint lebhaftes Korn.
 das weckt dich auf: Das Saatgut auf der Hand,
 es lebt und seine Wärme
 nicht vom bösen Feuerteufel stammt.
Der Storch lässt los die angebrannten Federn
 und breitet die verletzten Flügel aus…
 Doch zieht er nicht im Herbst fort in den Süden
 von seinem durch den Brand zerstörten Felde,
 aus dem vom Feind kontaminierten Nest.  
**
Neutralität
Er taucht
 geheim auf,
 meistens in der Nacht
Er verbreitet einen Gestank 
 von Schweiß und Eiter
 der fremden Wunden
Auf seiner Kleidung
 und auf den Händen
 gibt es seltsame rote
 Flecken zu sehen
Aus seiner Tasche
 holt er
 einen Diamantring
 und wischt ihn am Hemd ab
Etwas Unheimliches
 flimmert in seinem Lächeln,
 wenn er dir den Ring überreicht
Du willst etwas fragen
 die Worte aber bleiben dir in der Kehle stecken
Schweigend
 nimmst du den Ring
 und steckst ihn an deinen Finger
Was geht es dich an, wo er ihn herhat?
 Was gehen dich die Blutflecken an?
Er ist nicht dein Ehemann
 Und wenn man genauer hinschaut,
 sogar kein Freund
Du bist ja
 neutral…
***
Heute
 gab es einen Ostergottesdienst
unsere Ostern
 in der Kirche von einem fremden Land
hinter meinem Rücken 
 sagte plötzlich eine Frau
 zu einer anderen
ich komme aus Butscha
Christus ist auferstanden
 den Tod durch den Tod besiegt
Zehn Tage saßen wir
 in einem Keller
 Unsere Freunde wurden
 am ersten Tag
 aus einem Panzer erschossen
 Die Nachbarin wurde vergewaltigt
 vor den Augen ihres minderjährigen
 Sohnes
Christus ist auferstanden
 den Tod durch den Tod besiegt
Irgendwann am Abend
 als die Schießerei aufhörte
 ist es uns gelungen
 zu fliehen
unterwegs sahen wir
 von Kugeln durchgeschossene Autos
 und getötete Menschen darin
Christus ist auferstanden
 ich komme aus Butscha
 den Tod durch den Tod besiegt
****
Vom Sand bedeckte
 tödliche Minen
 auf Kinderspielplätzen
 in ukrainischen Städten
Das internationale
 humanitäre Recht
 hat sich wahrscheinlich
 verlaufen
 irgendwo
 zwischen Genf und Moskau
Die Getreidekörner
 haben ausgetrieben
 zwischen Raketenbruchstücken
Ein rostiger russischer Panzer
 in einem ukrainischen Obstgarten
 inmitten der reichen Kohlernte
Tonnen CO2 und Ruß
 werden in die Luft
 ausgestoßen
 durch Raketen,
 die auf die Ukraine fallen
Wo bist du,
 Greta?
Es ist die höchste Zeit
 für eine internationale Klima-
 und Umweltschutzkonferenz
 in Moskau
 (Russland ist doch Europa,
 oder?)
*****
Explosion,
 eine höllische Dissonanz
 zum Atem
die Schwärze
 auf dem Schwarzen,
 nur Wunden
 rot
 wie Blitze
Wasserzeichen des Geistes
 am verstümmelten Körper
 der Heimat
Möge
 die Klage
 meines Volkes
 wie ein Fels
 auf das Grab
 des Feindes
 fallen
Alle Gedichte © Halyna Petrosanyak
