Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (30). Drinnen im Schwimmbad

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/autorblog/2023/klein/hoff30_500.jpg
Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

*

30

Ich schreibe nun eine Hymne. Auf ein Dorfschwimmbad, auf die 50 Meter Bahn, auf Adi – den Bademeister, auf die heißteste Dusche ever, auf die Nudeldamen, auf Schwimmen, wenn niemand schwimmt, außer einem, der heißt Michael und der schwimmt auch wenn die Außentemperatur nur bei 15 Grad liegt. So wie ich.

Das Wetter war jetzt nicht gut. Klar. Und darüber kann man heulen und jammern und sagen, früher war alles besser. Aber erstens hat es früher im Sommer auch manchmal fast drei Wochen geregnet und zweitens ist das Wetter immer der stärkere Gegner.

Also: Liebe!

Ich wohne ja teilzeitmäßig auf dem Land in Niederbayern und weil es in meinem Dorf kein Schwimmbad gibt, fahre ich immer in das Schwimmbad ein paar Dörfer weiter. Mit dem Auto. Das macht man auf dem Dorf so. Auf dem Dorf macht man eben andere Sachen als in der Stadt. Dieses Schwimmbad ist das schönste Dorfschwimmbad, das mir je untergekommen ist. Blaues 50 Meter langes Becken, mit extra hübschem Schwimmwachtmeisterhäuschen, alles umsäumt von einer großen Wiese, Bäumen. Falls es mal zu heiß wird, stehen Sonnenschirme neben den Bänken rund ums Becken bereit, will heißen: Sie müssen sich hier nicht verbrennen, auch wenn Sie nur zum Zugucken kommen.

Wenn ich auf dem Land bin, schwimme ich hier täglich. Am Anfang der Saison kaufe ich mir eine Saisonkarte, und obwohl ich dieses Jahr versucht habe, eine der ersten Karten zu ergattern, bin ich Nummer 46 geworden. Das steht in einem Buch. 46 – Frau Hoffmann. Einen Beleg dafür habe ich nicht.

Immer vormittags, meistens nachdem ich schon ein oder zwei Stunden am Schreibtisch war, weil das Schwimmbad erst um zehn Uhr öffnet, fahre ich dorthin; manchmal auch direkt um zehn Uhr, dann werde ich gefragt, ob ich aus dem Bett gefallen sei, was zwar eine Gemeinheit ist, aber eine ziemlich lustige. Wenn ich etwas später komme, also um elf, und es nicht kalt ist, verpasse ich ein bisschen etwas: Zwischen zehn Uhr und halb elf Uhr kommen immer die „Nudel-Damen“ zum Schwimmen, ältere Frauen mit diesen bunten Kunststoffrollen um die Hüften anstelle von Schwimmflügeln. Ich mag ihre Anwesenheit, ich liebe ihre Anwesenheit sogar, weil wenn ich meine (wenigstens) zwanzig Bahnen auf der Sportschwimmerbahn schwimme, die oft mir ganz alleine gehört, höre ich beim Auftauchen und beim Abtauchen immer Fetzen von ihren Gesprächen: Ich war heute schon beim Metzger, sagt die eine, worauf die andere antwortet: Und ich habe sogar schon das Mittagessen vorgekocht! – Kleine Kämpfe um Nichts sind das, aber nicht unbedeutend, und es erinnert mich ans Einschlafen als Kind, mit den Stimmen der Eltern im Nebenraum. Die Nudeldamen beruhigen mich.

Zwischen den Nudeldamen schwimmt immer Michael, der sich mit allen unterhält und am Ende der Saison bestimmt genau weiß, wer wann was isst und wo einkauft, weil er täglich eineinhalb Stunden Brust und Rücken schwimmt ohne Kopf unter Wasser.

Tatsächlich schwimmen auch Damen ohne Nudel und ganz vereinzelt auch mal ein Herr. Aber ich senke mit meinen sechsundfünfzig Jahren den Altersdurchschnitt unter den Morgenschwimmern ganz beträchtlich.

Immer dienstags dirigiert ein sächselnder Fitnesstrainer die sehr betagte Aquafitnesstruppe und wie der gute Gott vom Schwimmbad sitzt Adi, der zugleich Bademeister und Mädchen für alles ist, dann nicht beruhigt in seinem Kabuff, sondern er steht in der Nähe des Beckenrands. Immer! Ich vermute, weil die Wassergymnastik ungefähr das Gefährlichste ist, was am Morgen zwischen zehn und zwölf Uhr im Schwimmbad geschieht. Ich denke dann, später, wenn ich einmal alt bin, möchte ich auch so einer Truppe angehören. Und ich bin ein bisschen neidisch auf Adi, auf das was er da vom Beckenrand aus alles sieht, hört, erlebt, weil ich glaube, dieser Schwimmbadkosmos erzählt eine ganz eigene, reiche Welt aus guten und schlechten Sommern, ein kleines Leben im Großen. Am Ende dieser Saison geht Adi in den Ruhestand und das Schwimmbad schließt: Es entspricht nicht mehr der DIN-Norm (was eine extra Geschichte ist), und ich werde darüber sehr weinen.

**

Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

Verwandte Inhalte
Städteporträts
Städteporträts
Journal
Mehr