Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (23). Maracuja-Eis

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sechs Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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23

Letzten Donnerstag habe ich meinen Vater in der Klinik besucht. Er lag seit drei Tagen auf der Intensivstation. Er hatte eine Suppe zu Mittag gegessen, und nachdem ich eine Weile da war, hatte er Lust auf ein Eis. Ich sagte der Schwester, dass ich kurz rausgehe, ein Eis holen und dann bin ich zur Tür hinausgegangen. Der Aufzug kam nicht, dann kam doch einer, er fuhr nach oben, anstatt nach unten. Dann aber auch wieder nach unten, voller Leute. Ich fand, alles geht unglaublich langsam. Ich wollte einfach schnell ein Eis haben für meinen Vater. Ich kaufte ihm am Kiosk so ein Maracuja-Split-Eis, wie er es sich gewünscht hatte. Ich mag das auch sehr, ich mochte es schon als Kind. Ich fuhr wieder hinauf auf die Station, ich packte ihm das Eis aus, die Schwester stellte sein Bett aufrechter. Er aß das Eis mit Genuss und in aller Ruhe. Ich betrachtete dabei seine Hände; wie er das Eis hielt, ich sah, er hält das Eis, so wie auch ich das Eis halte. Das war schön. Er aß Eis und ich war traurig, aber auch froh, dass ich dabei sein kann.

Als er fertig war, nahm ich ihm das Holz-Stäbchen ab, und klar klebten seine Finger vom Zucker. Es gab trockene Tücher auf dem Tischchen neben seinem Bett und feuchte Tücher. Ich hatte bereits so ein feuchtes Tuch ausgepackt, als er sagte, das andere hätte auch gereicht, und ich dachte, ja, das andere hätte auch gereicht. Mein Vater wischte sich die Hände mit dem feuchten Tuch ab. So wurden sie sehr sauber.

Davor und danach redeten wir über alles; auch über den Tod – von dem er wusste, dass er sehr nahe ist – und wie er ihn sich wünschte. Keine achtzehn Stunden später hat sein Herz in Ruhe aufgehört zu schlagen. Ich bin sehr traurig. Aber ich weiß, ich brauche jetzt immer nur dieses Maracuja-Eis essen, wenn ich möchte, dass er wieder da ist.

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